Schwules Leben nicht versichert

Die meisten Lebensversicherer weisen Homosexuelle wegen höheren HIV-Risikos ab. Das Bundesaufsichtsamt rät jedoch zur Beschwerde  ■ Von Peter Gerhardt

Berlin (taz) – Schwule und Lesben werden von der Wirtschaft zunehmend als zahlungskräftige Kundschaft entdeckt und umworben. Doch was vor allem die Duftwässerchen- und Lifestyle-Industrie zu einer wahren Hatz auf homosexuelle Märker veranlaßt hat, gilt längst nicht für alle Branchen. So werden Schwule bei einigen Versicherungen als Gruppe mit erhöhtem Risiko eingestuft und sind daher als Kundschaft oft unerwünscht.

Dies mußte sich auch Jens Strieger* von seiner Versicherung, der Debeka, sagen lassen, als er im vergangenen Jahr einen neuen Vertrag abschließen wollte, um seine Lebensversicherung aufzustocken. Den üblichen Fragebogen zu seinem Gesundheitszustand, in dem auch nach einer HIV-Infektion gefragt wird, konnte er zur Zufriedenheit seiner Versicherungsagentin ausfüllen. Auch als er anstelle seiner bisher im Vertrag eingetragenen Mutter den langjährigen Freund zum Nutznießer der Versicherung machen wollte, hatte die Agentin keine Bedenken.

Einige Tage danach erhielt Jens jedoch einen Anruf aus der Verwaltung der Debeka, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis er denn zu dem Herrn stehe, der nun als Nutznießer gelten solle. Auf die Klarstellung hin, daß dies der Lebenspartner sei, erhielt Jens dann einen Brief, in dem ihm „mit Bedauern“, aber ohne Gründe mitgeteilt wurde, daß die Debeka die gewünschte Versicherung nicht abschließen werde. Auf Jens' Nachfrage hin ließ die Debeka durchblicken, daß man Homosexuelle wegen des erhöhten Aids-Risikos nicht versichere.

Die Debeka wollte sich zu dem Fall nicht näher äußern. Karl- Heinz Löhr, der in dem Unternehmen für Lebensversicherungen zuständig ist, gab aber auf Nachfrage zu, daß Homosexualität als Ablehnungsgrund gelten könne. „Das heißt aber nicht, daß wir gar keine Schwulen oder Lesben versichern. Es kommt auf den Einzelfall an.“

Auch der Gang zur Konkurrenz verspricht Schwulen und Lesben nicht unbedingt Besseres. Beim Deutschen Ring verzichtet man sogar ganz unumwunden auf homosexuelle Kundschaft für Lebensversicherungen: „Im Interesse unserer Vesichertengemeinschaft müssen wir leider schwulen Männern, als hochgradig HIV-gefährdeter Personengruppe, den Versicherungsschutz verwehren“, bedauert Unternehmenssprecherin Gabriele Rolfes. Gegen Lesben hat der Deutsche Ring dagegen nichts einzuwenden.

Andere große Unternehmen lassen sich dagegen weniger gerne bei der Auswahl ihrer Kunden in die Karten sehen. Die meisten verweisen wie die Debeka auf die Einzelfallprüfung. „Das hängt dann von den Lebensumständen ab“, hört man in den Konzernzentralen – ohne daß man näher äußern möchte, was damit gemeint ist. Im Privatleben ihrer Kunden schnüffeln zu wollen, das weisen nämlich alle Versicherungen weit von sich.

Über die Auskunft zum Gesundheitszustand hinaus muß man den Versicherungskonzernen auch keine Fragen zum Privatleben beantworten. Wer jedoch seinen Freund als Begünstigten der Versicherung einsetzt, hat sich geoutet. Obwohl die Tatsache, daß man in einer festen Lebensgemeinschaft zusammenlebt und dem Freund im Todesfall eventuell eine Menge Geld hinterläßt, gegen extensive Promiskuität spricht, ist der Vertrag dann oft geplatzt.

Ähnliches wie bei den Lebensversicherungen gilt bei fast allen Personenversicherungen, also auch bei privaten Krankenversicherern und bei Absicherungen gegen Berufsunfähigkeit. Auch hier gilt: HIV-negativ ist absolutes Muß. Da wird beim Versicherungsabschluß sogar der Hausarzt von der Schweigepflicht entbunden, so daß die Unternehmen die Mogelei leicht herausbekommen. Dann verfällt die Versicherung, und auch die bereits bezahlten Prämien sind hinüber. Nur die anonymen HIV-Tests bei den Gesundheitsämtern sind nicht überprüfbar.

Die ganz offensichtliche Diskriminierung von Schwulen wird von den Versicherungen mit der Vertragsfreiheit begründet. Danach können sich die Unternehmen aussuchen, mit wem sie Geschäfte machen wollen und mit wem nicht. „Die Vertragsfreiheit ist aber gerade keine Diskriminierungsfreiheit“, betont der Sprecher des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen, Thomas Tritscher.

So wurden etwa vor einiger Zeit Ausländern keine Kfz-Versicherungen mehr verkauft – zu hohes Risiko, wie die Assekuranzen sagten. Nach erheblichem Druck des Aufsichtsamtes und aufgrund mehrerer Gerichtsentscheidungen mußten die Versicherungen diese Diskriminierung aufheben. Einen solchen Weg könnte sich Tritscher auch für Schwule und Lesben vorstellen: „Wenn jemand, der nur aufgrund seiner Homosexualität von einer Versicherung abgelehnt wurde, Beschwerde bei uns einlegt, könnten wir aktiv werden und uns direkt an den Vorstand des Unternehmens wenden.“

Wohin wirtschaftliche Liberalisierung führen kann, zeigt das Beispiel der USA. Dort schließen viele große Versicherer ganze Stadtviertel vom Versicherungsschutz aus. So wird es einem Bewohner der New Yorker South Bronx schwer fallen, eine Lebensversicherung zu bekommen. Auch einige Schwulenviertel stehen bei den Konzernen auf der schwarzen Liste. Dafür gibt es dann einige wenige Gesellschaften, die spezielle Versicherungen für Homosexuelle anbieten.

Soweit ist man in Deutschland noch nicht. Doch bei einigen Unternehmen kann man immerhin schon als schwules oder lesbisches Paar „Familienversicherungen“ für Rechtsschutz und Haftpflicht abschließen. In der Regel bieten dies die gleichen Unternehmen an, die Schwule und Lesben auch als Kunden bei Lebensversicherungen gerne sehen. Jens hat mittlerweile eine Versicherung gefunden, die seinen Freund als Begünstigten akzeptiert hat.

* Name geändert