Babys, Mütter und die Linke

Neugeborene werden von den Eltern fast immer auf den linken Arm genommen. Forscher wiesen jetzt nach, daß so eine bessere Kommunikation zwischen Eltern und Kind möglich ist  ■ Von Manfred Kriener

Machen Sie doch einmal folgendes Experiment: Nehmen Sie ein Sofakissen und stellen Sie sich vor, daß dieses Kissen Ihr eigenes soeben geborenes schutzloses Baby wäre. Und jetzt wiegen Sie dieses Baby sanft auf Ihrem Arm. Stopp! Welchen Arm haben Sie benutzt? Acht von zehn LeserInnen haben das „Baby“ auf den linken Arm gelegt, egal ob sie Rechts- oder LinkshänderInnen sind. Seit mehr als 150 Jahren zählt das linksseitige Wiegen zu einem von Wissenschaftlern immer wieder beobachteten, auffälligem Phänomen.

Aber warum wiegen 80 Prozent aller Mütter und Väter ihre Neugeborenen instinktiv auf der linken Seite? Mediziner und Forscher haben immer neue Erklärungen gesucht. Die beiden britischen Ärzte Sieratzki und Woll haben jetzt im medizinischen Fachmagazin Lancet die bisher vorliegenden Studien zusammengefaßt und neu bewertet. Ihre These: Linksseitiges Wiegen ist Ausdruck unserer beiden sehr unterschiedlichen Körperhälften. Es gestattet eine innigere Kommunikation und Hinwendung an das Baby.

In der Haltung seiner Kinder ist der Mensch ein Affe geblieben. Egal ob man Rhesusaffen, Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans oder den Homo sapiens beobachtet: Die Babys werden beim Wiegen überwiegend auf der linken Seite abgelegt. Bei rechtshändigen Personen liegt der Anteil bei 83 Prozent, bei Linkshändern nur geringfügig weniger bei 78 Prozent. Die linke Vorliebe gilt nur für Babys. Nimmt der Mensch einen x-beliebigen Gegenstand zur Brust, hat er keine Seitenpräferenzen.

Die wissenschaftlichen Beobachtungen an jungen Müttern lassen aber noch weitere Aussagen zu: Frauen, die überwiegend rechtsseitig wiegten – also von der Regel abwichen –, waren im Umgang mit ihren Kindern deutlich unsicherer, brauchten mehr Unterstützung durch die Hebamme und reagierten weniger sensibel auf die Signale ihrer Babys. Sie hatten schon während der Schwangerschaft mehr seelische Probleme, machten sich häufiger Sorgen über die Geburt und die Gesundheit ihrer Kinder. Linksseitiges Wiegen ist demnach verbunden mit einer „gesünderen“ Einstellung zum Kind.

Lange galt die Herzschlagthese als schlüssige Erklärung für den Vorzug der linken Seite. Das Ohr des Kindes, so die Theorie, hört das schlagende Herz der Mutter und wird dadurch beruhigt. Experimente zeigten dann aber, daß Feten und Neugeborene die Stimme der Mutter sehr viel lieber mögen als das Wummern des Hohlmuskels. Inzwischen ist die Herzschlagthese überholt. Auch die Annahme, daß die linke Brust der Frau sensitiver sei als die rechte, gilt als widerlegt.

Nach dem aktuellen Stand der Forschung hat die Wahl der Seite mit den unterschiedlichen Hirnarealen und den ihr zugeordneten Körperhälften zu tun. Sieratzki und Woll schreiben: „Emotionale Gesten und Mienenspiele werden schneller und akkurater vom linken Gesichtsfeld, das der rechten Gehirnhälfte zugeordnet ist, erfaßt, und gleichzeitig hat die linke Hälfte unseres Gesichtes mehr Ausdrucksmöglichkeiten.“

Im Experiment wurde außerdem ein deutlicher Unterschied zwischen rechtem und linkem Ohr festgestellt. Wir alle kennen diese Unterschiede zum Beispiel bei beim Telefonieren. Die meisten Menschen legen den Hörer immer an dasselbe Ohr, ein Wechsel auf die andere Seite verunsichert sie. Das hat seine Gründe. Das rechte Ohr soll besser geeignet sein, um strukturelle Aspekte der Sprache zu erfassen, das linke Ohr, das von den Müttern dem Baby zugewandt wird, nimmt Musik und melodische Aspekte der Sprache besser wahr, und vor allem aber die gefühlsmäßigen Schwingungen.

Beim linksseitigen Wiegen ist nicht nur die linke Gesichtshälfte der Mutter dem Kind zugewandt. Auch das Baby ist dabei so gebettet, daß es mit dem linken Ohr die Mutter hört. Es hat von der linksseitigen Lage selbst direkte Vorteile. Das so typische, melodische Summen und Singen der Mutter (auch Mütter von tauben Kindern summen!), das zärtliche Gebrabbel wird über das linke Ohr und damit von der rechten Hirnhälfte verarbeitet. Und genau diese rechte Hirnhälfte ist bei den Babys weiter entwickelt als die Areale auf der anderen Seite.

So gestattet denn die Vorliebe der Mütter und Väter für die linke Seite eine insgesamt deutlich bessere, innigere Kommunikation. Diese jetzt auf wissenschaftliche Beine gestellte Erkenntnis ist in einigen Kulturen überliefert. So empfiehlt der Talmud, daß „eine Frau, die ihren Sohn zu stillen beginnt, damit auf der linken Seite beginnen sollte, denn die linke Seite ist der Anfang allen Verstehens“.

Ob die politische Linke daraus etwas lernen kann? Wohl kaum: Wer links steht, hört nämlich mit dem rechten Ohr.