Keine Samstagsruhe am heiligen Sabbat

■ 150.000 ultraorthodoxe Juden fordern die Sperrung einer zentralen Straße Jerusalems. Sie haben Unterstützer in der neuen israelischen Regierung Netanjahus

Tel Aviv (taz) – Etwa 150.000 orthodoxreligiöse Juden haben am Samstag drei Stunden lang in der Jerusalemer Bar-Ilan-Straße demonstriert. Sie verlangten die Schließung dieser Verkehrslinie für alle Fahrzeuge am Sabbat. Seit den letzten israelischen Wahlen, aus denen die religiösen Parteien gestärkt mit 23 von insgesamt 120 Knessetsitzen hervorgingen, fanden in der Bar-Ilan-Straße, am „Grenzgebiet“ zwischen „religiösen“ und „gemischtbevölkerten“ Stadtteilen Jerusalems bereits mehrere solcher „Sabbatdemos“ statt.

Die Frage der Schließung der Bar-Ilan-Straße, die an einem von ultraorthodoxen Juden bewohnten Stadtteil vorbeiführt, steht seit Jahren auf der Tagesordnung der Stadtverwaltung und gilt besonder vor Wahlen als Konfliktarena für Straßenkämpfe. Aufgrund eines Entscheids des obersten israelischen Gerichts sollte die Straße für den Verkehr offen bleiben. Andererseits hat der neue nationalreligiöse Transportminister die Schließung der Straße während der Gebetsstunden verordnet. Die Situation und der gemeinsame nichtreligiöse „Feind“ eint diesmal das sonst gespaltene religiöse Lager.

Nach Zusammenstößen zwischen orthodoxen Demonstranten und ihren Gegnern aus den Reihen der Arbeitspartei und dem Linksbündis Meretz am Samstag vor einer Woche, erhielten die jetzt in Benjamin Netanjahus Regierungskoalition vertretenen religiösen Parteien eine besondere Polizeierlaubnis für eine große „Sabbatdemo“. Die Intervention der religiösen Minister hatte auch zur Folge, daß Avigdor Kahalani, Minister für innere Sicherheit, einen „freundlicheren Umgang“ der Polizei mit religiösen Demonstranten versprach.

Vor der Demonstation sperrte die Polizei nicht nur die umstrittene Bar-Ilan-Chaussee, sondern auch alle Zufahrts- umd Umfahrstraßen in der weiteren Umgebung ab und legte damit – zum Ärger aller Jerusalemer – den gesamten Verkehr von und zur Vorstadt lahm. Nichtreligiösen Fußgängern – also möglichen Gegendemonstranten aus dem nichtreligiösen Lager – wurde der Zugang durch von der Polizei errichtete Barrikaden versperrt.

Unter den orthodoxen Demonstraten schritten im Meer der schwarzen Kaftane und Hüte die greisen Rabbiner der verschiedenen orthodoxen Strömungen, der Minister für Häuserbau, Meir Porush (Listenführer des askenasisch-orthodoxen Vereinigten Torah-Judaismus), sowie die als Ordner fungierenden Vertreter des orthodoxen Rabbinatsgerichts.

Gleichzeitig waren mehr als 1.000 Polizisten an diese innerjerusalemer „Front“ abkommandiert. Der Jerusalemer Polizeipräsident Arieh Amit, den orthodoxe Rowdys besonders gern als Zielscheibe für ihre Steine, Eier und sonstigen Geschoße verwenden, bereitet seine berittenen und motorisierten, mit Wasserwerfern ausgestattenen Bereitschaftseinheiten schon jetzt für die nächsten Zusammenstöße, die bereits am kommenden Sabbat erwartet werden, vor.

Es geht natürlich um Macht und Einflußsphären in den verschiedenen jüdischen Vierteln der Hauptstadt. Nach Vorhersage israelischer Demographen wird das jüdische Jerusalem bereits in wenigen Jahren von einer religiösen Mehrheit bevölkert sein. Im Vergleich mit Wahlresultaten in anderen Städten des Landes nimmt der Einfluß der religiösen und politisch rechts orientierten Listen in Jerusalem unverhältnismäßig stark zu. Der Likud-Bürgermeister Ehud Olmert wird von einer Koalition religiöser Fraktionen unterstützt. Den in der Knesset vertretenen religiösen Parteien geht es aber ganz allgemein um ihren Einfluß auf das Leben der Bevölkerung, nicht nur in Jerusalem, sondern in allen Teilen des Landes. Amos Wollin