Der amorphe Terror

■ Die Bombe in Atlanta hat kein erkennbares Ziel

Das Bild zitterte leicht, irgendwo im Hintergrund war etwas geschehen, auf den Gesichtern der Umstehenden erkannte man eher Erstaunen als Panik. Vielleicht verrieten diese ersten ein, zwei Sekunden schon die Wahrheit des Anschlags im Centennial Park. Etwas Schreckliches ist passiert, aber es ist nicht recht zu orten.

Das ist der Unterschied zu München 1972. Der Überfall auf die israelischen Sportler war Teil der irrwitzigen politischen Logik, Unterdrückung mit maßlosem Gegenterror zu beantworten. In Atlanta ist alles anders. Die Gewalt hat kein erkennbares Ziel. Wer ihr zum Opfer fällt, war bloß zufällig am falschen Ort.

Politik ist das Vermögen, Unterscheidungen zu treffen. Die Bombe im Olympischen Park hingegen schien unterschiedslos alle und niemand zu meinen. Der Terror ist amorph geworden. Er geht in keiner Logik mehr auf: auch nicht in der faschistischen, einen starken Staat herbeizubomben. Deshalb ist es auch fast egal, ob eine rechte US-Miliz oder ein Einzeltäter die Bombe legte. München 1972 war ein Höhepunkt der politischen Gewalt der 70er, die Bombe von Atlanta ist ein Fanal der apolitischen Gewalt der 90er.

So ist das Beunruhigende des Anschlags keineswegs (wie uns allenthalben versichert wird), daß man Massenveranstaltungen nicht vor Anschlägen schützen kann. Das weiß ohnehin jeder. Verstörend ist vielmehr die diffuse Irrationalität, die sich allen Erklärungsmustern zu entziehen scheint. Der apolitische Terror tritt uns wie eine moderne Naturkatastrophe entgegen. Wohl daher klingt die offizielle Betroffenheitsrhetorik noch schaler als sonst.

Verstörend waren die Bilder schließlich auch, weil sie das Selbstbild der Olympiade in Scherben legten. Und zwar nicht nur das vom völkerverbindenden Fest, das Sportfunktionäre gern und folgenlos zitieren. Nein, jene Frau, die mit blutverschmierten Beinen auf dem Rasen des Centennial Parks lag, dementierte genau die heroischen Körperinszenierungen, die der Kern unseres Interesses an Olympia sind. So schob sich das Bild des schwachen, verletzten Körpers wie eine Folie hinter die Inszenierung der Hochleistungsleiber. Für einen Augenblick zerbrach die Illusion, die in Atlanta verkauft wird: das Bild des Körpers, der über sich selbst triumphiert. Stefan Reinecke