: Der taz-Sommerroman: „Dumm gelaufen“ – Teil 14
Der Reporter schlug Glatzes Kopf wie zum Dank noch einmal auf den Boden. Und Glatze verlor das Bewußtsein für die Politik, die Welt, das Reich.
Wen interessiert dieser ScheissFall eigentlich ...
Was Sie schon immer über Sex in diesem Fall wissen wollten und warum das ,Element of crime' niemanden, aber auch niemanden interessiert.
Warum lassen sich alle Leute am Montag umbringen? Bei Brooks Fällen war das so. Und der Montag hatte Brook mit einem frischen Fall empfangen; der Fall Schmackes. Und heute, am Dienstag, sesselte Brook noch in seiner Wohnung im vierten Stock; Appartement 10, die linke Tür. Er hatte einen Sessel und einen Fernseher dringend nötig. Fernsicht muß sein, überlegte Brook. So bleibt und erfährt man die Welt. Brook gab sich eine Pause zum Nachdenken. So schloß Brook im Fall Schmackes auch jeden politischen Hintergrund aus. Das Ding mit der Langeweile hatte seine ganze Sympathie. Es war mehr nach Kommissar. Auch sein Instinkt. Seine Intuition. Und sein unglaublicher Intellekt bestätigten seine Zweifel. Brook strich die Demonstration aus und vorbei. Dann. Stop And. Go. Ein Stau hielt Brooks ermittelnde Gedanken auf. Die Zeitungen hatten kein Interesse an Brooks Fall. Ein einziger Artikel in der Presse über Henrys Tod. Sonst nichts! Schmackes war halt tot. Tod ist Tod, da hilft kein Blut! Wen interessierte dieser Scheißfall eigentlich noch!? Die Redakteure schlugen Brücken mit Horoskopen und wer wen und was und wo in der Stadt getroffen, wenn vögli dann mögli, hat. Niemand half Brook auf die Sprünge. Keine Mitwisser. Keine Mitesser, die sich sonst als Täter oder Opfer, natürlich in aller Anonymität, Brook anboten. Kein Aktenzeichen XY ungelöst von seinem Eduard Zimmermann; Zuschauer richten ihre Nachbarn. Brook entdeckte das Niemandsland. In sein privates Computer-Log-Buch auf dem Revier, Sternenzeit 1994 , ließ er sich zu folgender Genialität hinreißen: Dieser Fall ist unbewohnt. Es gibt nicht ein Anzeichen von Spuren; geschweige denn Leben. Commander Brook behält sich vor, ungewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen, um in diesem Niemandsland Selbstverständlich hatte Brook Presse, Funk und Fernsehen ein bißchen Crime zu bieten gehabt. Aber das war natürlich nicht alles. Die Öffentlichkeit wollte mehr, und natürlich keine politischen, soziologischen oder wirtschaftlichen Aspekte in diesem seinen Fall. Sie wollten mehr Nackt. Heit. Mehr Liebe. Mehr Sex. Vielleicht lag darin die Unpopularität von Brook und seinem Fall. Wahrscheinlich. Möglich. Und auch denkbar, wagte sich Brook einfach alles zu denken.
Die einzige mögliche Konsequenz, daß seine Geschichte als Geschichte weiter verfolgt würde, hier eine erotische, stimulierende Situation zu schaffen. Zum Glück hatte er keine weißen Strümpfe an. Keine geblümte Bettwäsche. Kein weißes T-Shirt unter dem Hemd. Er war alles, was die Frau braucht! Und Brook brüstete sich vor dem Spiegel Knopf um Knopf auf. Völlig enthemd. Im Zwischenraum seiner braunen Warzen kräuselten, gräuelte das Brusthaar, das männliche, seit über fünfzig Jahren. Aber das Publikum im Spiegel wollte wie immer alles; alles von Brook. Schließlich war ein Kommissar mehr als ein Kopf. Auch Hormon. Auch Hahn. Auch was man so in der Hose hatte. Und Brook öffnete seine Hose laut den Verkehrsvorschriften, nach dem bewährten Reißverschlußsystem. Der Spiegel im Bad grinste rot; seine falschen Augen gierten in den Schritt von Brook, und sie forderten: Die Boxer-Shorts! Die Boxer-Shorts! Brook ließ die Shorts fallen. Und sein Schwanz lief nicht rot an. Alle Falten falteten sich still. Eichel blieb Eichel. Eier blieben Eier. Alles natürlich. Er gehörte zu Brook, der Schwanz. Er war Brook. Und vielleicht würde er Brook eine Vergangenheit, die gewünschte, unsterbliche geben. Zum Beispiel ein Kuckuckssperma legen.
(Fortsetzung folgt)
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