„Eigentlich finde ich Kaufen total doof

■ Die Schnäppchen-Jagd ist eröffnet / Preise im Sommerschlußverkauf purzeln

Ein knalloranges T-Shirt knüllt sich verführerisch auf dem Grabbeltisch bei Benetton in der Obernstraße. Zwanzig Mark für ein echtes Girlie-Outfit im Sommerschlußverkauf: Wer kann da schon nein sagen. Doch in der Kabine entpuppt sich das tolle Schnäppchen als Twiggie-Größe 34. Da platzt auch die strammgeschnürteste Naht - blöder Techno-Look! Doch so schnell gibt die Schnäppchenjägerin nicht auf: Denn jetzt ist Sommerschlußverkauf, und da wird billig eingekauft.

Vom Gruppenzwang gepeinigt (“alle anderen haben schon ihr Schnäppchen“) schnuppert die erfolglose Jägerin glücklichen C&A Tütchen-Trägern hinterher. Endlich, im klimagekühlten C%A-Kaufhaus liegen die prallgefüllten Grabbeltische vor ihr: eine heiße Spur. Zwei Paar Socken für drei Mark, strahlend weiß, von Neonfarben keine Spur. Auch die Hemden, in acht prallgefüllte Grabbbeltische geschüttet, präsentieren sich von ihrer bürgerlichsten Seite: schwarz-weiß gestreifte Pilotenhemden, gestreifte Jerseyhemden in blaßblau (alle 20 Mark). „Genau das richtige für den Sohn“, denkt sich die Hausfrau mit geblümtem Kopftuch und blumiger Bluse und greift mit vollen Händen zu. Die Berlinerin neben ihr ist enttäuscht: „Das erste Mal im Leben wollte ick och mal mitgrabbeln, doch richtig begeistert bin ich nicht“, gesteht sie. Doch immer wieder taucht ihre Hand im Hemdhaufen unter. Hand rein, Hemd raus. Auch die anderen Hände an den Grabbeltischen rascheln im gleichen Takt. Immer wieder greifen, tasten und nicht mehr loslassen: der kollektive Jagdinstinkt verdrängt alle Zweifel.

„Eigentlich find ich kaufen total doof“, sagt Julian Ohm. Für den 20jährigen Abiturient sind Kaufhäuser im Sommerschlußverkauf die reinsten „Konsumtempel“. Heute bekennt Florian: „Ich bin dem Kaufrausch verfallen“. Das grausame Ergebnis: ein „flashiges“ Hemd für 40 Mark, Bettwäsche und Handtücher: „Billig, billig, billig“, schwärmt Florian, der bald 600 Mark Zivi-Taschengeld im Monat übrig hat.

Davon kann die 31jährige Sozialpädagogin nur Träumen. Eine schlichte schwarze Jeans, „das wärs“, sagt Sabine Kurz. Wenn da nicht das Problem mit der Bank wäre: Der Automat rückt keine müde Mark mehr raus, das Arbeitlosengeld ist längst verbraucht. Die 350 Mark vom letzten Flohmarktverkauf gehen fürs Essen drauf: „Da kann ich mir jetzt einfach nichts mehr leisten“, sagt die Bremerin und verschwindet im Gewühl - einfach so, als Zeitvertreib. Denn „wer fünf Monate arbeitslos ist, weiß irgendwann nichts mehr zu tun.“

Zwei Stockwerke höher, in der Kinderabteilung, nutzen Sprößlinge die Gunst der Stunde: Vom Kinderwagen aus läßt es sich so herrlich nach den bunten Plastiktierchen greifen. Und wenn Papa auch gerade in die anale Phase regrediert, darf Klein-Uwe das erst recht. Weit gefehlt. Papa schimpft und der kleine Blondschopf brüllt. Währenddessen grabbeln zwei indische Mädchen mit Herzenslust in einem Jeanshaufen. Die Mama packt kräftig mit an. „Wir fahren bald nach Indien und kaufen jetzt billig ein“, sagt der junge Vater Ashok Kumar, an dem Kinderwagen baumeln bereits mehrere Plastiktüten. Mit der Qualität sei es nicht weit her, weiß Ashok. Doch der Preis überzeugt.

Völlig begeistert hält Daniela Meiske drei knallig gelbe Unterhemden im Arm. „Drei Mark, das Stück - das ist doch supergünstig“, sagt sie. Eigentlich wollte sie nur Halbschuhe kaufen, doch dann kam alles anders. Die junge Bremerin, die sonst nur Markenware trägt, gesteht: „Nach zehn Wäschen sind die eh durchgenudelt, aber dafür sind sie billig“.

Verwirrt zieht die bisher erfolglose Chronistin weiter. Noch immer steckt der zerknitterte 10-mark-Schein einsam im Portemonnaie. Kleiderbügel klappern aufeinander, Tüten rascheln, gleichmäßig piepsen die Kassen. An einem kleinen Ständer mit bunten Ringen macht sie plötzlich halt. Neben ihr steht ein junges Mädchen, das verzückt auf einen Silberring starrt. „Also eigentlich will ich ja gar nicht...“. Eigentlich - Eigentlich hat auch die Chronisten nur noch 10 Mark und einen knurrenden Magen. Doch zwei knallige Ringe für fünf Mark? Wer kann dazu schon nein sagen? kat