Der Traum von einem Baskenland

Die französischen Basken sind entschlossen, ihre Kultur zu verteidigen. Dabei schauen sie nach Spanien und hoffen auf Hilfe aus Brüssel. Gewalt ist für sie ein Problem der anderen  ■ Aus Bayonne Dorothea Hahn

Wenn sie sich zu Familienfesten in dem Pyrenäendorf trafen, zog der Vater zu vorgerückter Stunde über „die Franzosen“ her und der Onkel über „die Spanier“. Der Vater hatte einen französischen Paß, der Onkel einen spanischen, aber beide sprachen Baskisch und verstanden sich dabei ebenso prächtig wie die kleine Mayalen beim Spiel mit ihren Vettern und Kusinen von der anderen Seite des Gebirges.

Am nächsten Morgen in der Schule war die „Bauernsprache“ wieder verboten. Kinder, die sie trotzdem benutzten, mußten Eselsohren aus Pappe aufsetzen oder hundertmal aufschreiben: „Ich spreche kein Baskisch“ – auf Französisch versteht sich.

„Spätestens mit 14 stellt man sich da Fragen“, sagt Mayalen Arrambide knapp drei Jahrzehnte danach. Aus den Fragen sind Gewißheiten geworden, und die „Bauernsprache“ ist ihr nicht wirklich ausgetrieben worden. Heute betreibt die vierfache Mutter ein gutbesuchtes Restaurant in Bayonne, der Hauptstadt des französischen Baskenlandes. Die Tischdecken leuchten in den intensiven Rot- und Grüntönen der baskischen Fahne und die Speisekarte bedarf einer Übersetzung für Zugereiste: „Axoa“ ist der Hackfleischteller, „Marmitakoa“ das Thunfischragout und „Taloa“ der Maismehlfladen.

Auf baskisch erkundigen sich Stammkunden bei der lächelnden Wirtin nach dem Befinden des Gatten. Der sitzt in einem Pariser Gefängnis – seit über einem Jahr schon – und wartet auf seinen Prozeß wegen illegalen Besitzes von Sprengstoff, Herstellung von Waffen, Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und und und. „Mindestens zehn Jahre drohen ihm“, weiß Mayalen Arrambide. In denselben Angelegenheiten wird auch gegen sie ermittelt, denn die geheime Waffenwerkstatt, die nach den Erkenntnissen der französischen Justiz der baskisch-spanischen Untergrundorganisation ETA gedient hat, wurde im Keller des ehelichen Wohnsitzes in der Nähe von Bayonne entdeckt.

Mit der Sprache die Wurzeln finden

„Wir sind ein Volk“, sagt Mayalen Arrambide, „die Grenze ist uns aufgezwungen worden“. Der einzige Unterschied zwischen Süden und Norden sei die Tatsache, daß die Repression in Spanien zu „mehr Widerstand“ geführt habe, wohingegen die Demokratie in Frankreich „etwas Heimtückisches“ sei.

Auf den Straßen der luxuriösen Atlantik-Badeorte Anglet und Biarritz kommt die baskische Sprache mit ihren vielen „k“s und „x“en fast nur zu Werbezwecken vor. „Baskolotto“ und „Baskenhotel“ locken, und Reisebüros fordern zu Ausflügen in „urbaskische Pyrenäendörfer“ auf. „Die Sprache ist uns zu kompliziert“, begründet ein Vater, der seinen zehnjährigen Sohn zu dem baskischen Ballspiel Pelote begleitet, seine Beschränkung auf das Französische. Während der Kleine mit dem löffelförmigen langen Bastschläger auf den harten Pelote-Ball eindrischt, ergänzt der Alte: „Außerdem sind wir nicht von hier – mein Vater kommt aus der Auvergne.“

Nur knapp 60.000 Bewohner, rund 24 Prozent der Bevölkerung des französischen Baskenlandes, sprechen baskisch. Jenseits der Grenze, in Spanien, liegt die Zahl bei 600.000 Menschen oder 30 Prozent der Bevölkerung. Damit befindet sich die Sprache in einer „kritischen historischen Phase“, erklärt Jacques Bortayrou von dem Verein „Alfabetatze Eskalduntze Koordinakundea“, bei dem in den letzten 16 Jahren 6.000 Erwachsene gelernt haben. „Sie wollen ihre Wurzeln finden oder ihre Integration erleichtern“, erklärt der Lehrer, der Baskisch selbst als vierte Sprache gelernt hat.

Und weil sich auf französischen Rathäusern und Gerichten mit Baskisch nichts anfangen läßt, schaffen sich die Verteidiger der vom Aussterben bedrohten uralten Sprache selbst Gelegenheiten zum Einsatz der neu erlernten Kenntnisse. Sie organisieren Feste und Dichterlesungen auf Baskisch und veröffentlichen seit vier Jahren die baskische Tageszeitung Egunkaria (die Zeitung), die ihre Zentralredaktion auf der anderen Seite in San Sebastián hat. Wo nötig, betreiben sie die „Rebaskisierung“ auch mit Kommandoaktionen gegen den „jacobinistischen Zentralstaat Frankreich“. So pinselten sie in den letzten Jahren 2.000mal „Euskal Herrian Euskaraz“ – im Baskenland auf Baskisch – auf französische Ortsschilder. Am Ende wurden die Reparaturarbeiten den Behörden zu teuer und sie hängten zweisprachige Beschriftungen auf.

Vor dem Rathaus des 40.000-Einwohner-Städtchens Bayonne, dem die Welt das Bajonett und eine dickflüssige Trinkschokolade verdankt, ist neben der französischen und der europäischen Fahne neuerdings auch die Ikurrina gehißt. Der im vergangenen Jahr gewählte konservative Bürgermeister Jean Grenet hat zwar keinen Referenten für baskische Kultur und Sprache, ist aber im Gegensatz zu seinem Vater, der das Rathaus 38 Jahre lang regierte, bereit, den Baskischunterricht an den staatlichen Schulen zu verstärken. Er will Geschichte und Erdkunde auf Baskisch unterrichten lassen und scheitert bislang bloß daran, die nötigen zweisprachigen Lehrer zu finden. Hinter verschlossenen Türen diskutieren die Notablen von Bayonne neuerdings sogar darüber, an Stelle des aus der Französischen Revolution stammenden Départements mit dem unverdächtigen Namen „Pyrénées-Atlantiques“ ein neues zu schaffen, das „baskisch“ heißt.

Der Sekretär des Bürgermeisters spricht kein baskisch und ist schon gar kein baskischer Nationalist. Aber auch er träumt von einem Projekt, das die gegenwärtigen Grenzen überschreitet. Er will den „hoch industrialisierten, bevölkerungsreichen“ Süden und den „grünen und dünn besiedelten“ Norden des Baskenlandes zu einer „Euroregion“ mit zwei Millionen Menschen zusammenfassen. Die Aufhebung der Grenzkontrollen, den jährlich um zehn Prozent anwachsenden Lkw-Verkehr auf der Küstenautobahn und die Übersiedlung eines Kühlschrankherstellers mit 500 Arbeitsplätzen aus dem 30 Autominuten entfernten San Sebastián nach Bayonne wertet er als günstige Vorboten.

Die Gewalt halten die Notablen im Rathaus von Bayonne für das Problem der anderen. Wahlweise reden sie von einer „spanischen Angelegenheit“ oder einer „zwischen Paris und Madrid“. In Frankreich gibt es ihrer Ansicht nach kein Baskenproblem. Die zwei kleinen Bombenanschläge der französischen Baskenorganisation „Iparretarrak“ auf Zoll- und Finanzämter in der ersten Jahreshälfte nehmen sie nicht besonders ernst. „Das sind nur 20 oder 30 Leute“, sagen sie. Die Besetzung der Bayonner Gothikkathedrale Sainte-Marie im Juni hingegen hat die beschauliche Provinzstadt aus der Ruhe gebracht.

Da hatten spanische Basken einen Hungerstreik begonnen, um die Legalisierung ihres Aufenthaltes in Frankreich zu erzwingen, und von weither zusammengezogene massive französische Polizeikräfte hatten das Ganze nach wenigen Tagen beendet. Die Medienberichte über den Hungerstreik und über die täglichen Unterstützungsdemonstrationen französischer Basken vor der Kathedrale gelten im Rathaus als „maßlos übertrieben“.

Die Bombenleger von Iparretarrak kommen manchmal in der Wochenzeitung mit dem martialischen Namen Ekaitza – der Sturm – zu Wort. In den Redaktionsräumen in einem Altbau des Bayonner Stadtteils Saint-André hängt die Montageanleitung für ein Maschinengewehr an der Wand. Auf dem großen Tisch darunter tüten Ehrenamtliche die neueste Ausgabe des Blattes ein, das – auf französisch und baskisch – die radikalsten Baskenpositionen nördlicherseits der Pyrenäen vertritt. „Wir sind Internationalisten“, erklärt Nat Cazaré, „linker als alles andere in Frankreich“. Die Etikette „marxistisch“ mag er nicht – eher schon den Verweis auf „baskische Traditionen“ und das mittelalterliche Versammlungsprinzip.

Der 39jährige Blues-Gitarrist – „meine Nationalität ist Baskisch, meine Staatsangehörigkeit Französisch“ – erwartet nicht viel von dem „spanischen Regime“ und dem „französischen Staat“. „Um im gegenwärtigen Weltsystem zu überleben“, sagt er, „müssen wir selbst unsere Sprache und Kultur verteidigen.“ Nat Cazaré, der Baskisch erst als Erwachsener gelernt hat, glaubt zwar nicht, daß er ein unabhängiges, vereintes Baskenland noch erleben wird, aber Fortschritte gebe es schon. So habe der Staat „Rückzieher von der Betonierung der Küste gemacht, nachdem Hunderte Autoreifen zerstochen und Tourismusbüros überfallen worden waren.

Jakes Abeberry ist ein etablierter „Abertzale“ – ein baskischer „Patriot“. Die Tücken des französischen Wahlrechtes haben dem Mann, der in den frühen 60er Jahren einer der radikalsten baskischen Nationalisten auf französischer Seite war, 1991 den Einzug in das Büro im zweiten Stock des Rathauses von Biarritz verschafft, das den Blick auf die Wellenreiter in der wenige Meter entfernten weltberühmten Bucht freigibt. Seither ist der Abertzale mit 15 Prozent der Stimmen zweiter Mann hinter Bürgermeister Didier Borotra, der zur konservativen Mehrheit von Frankreichs Präsident Jacques Chirac gehört.

Der Vizebürgermeister ist ein Gegner der französischen Staatsgrenzen und ein heftiger Kritiker des Kolonialismus. Er träumt von einem „souveränen, wiedervereinten Baskenland“ und geißelt das „nationale Diktat Frankreichs“, das seit der Revolution versteinert sei. Doch pragmatisch wie er ist – „Wir sind gewählt, um Biarritz zu verwalten, nicht um die Welt zu ändern“ – wartet der Abertzale mit dem Goldkettchen nicht auf den bewaffneten Kampf gegen Frankreich – wenngleich er den gegen Spanien nicht verurteilt –, sondern setzt auf Brüssel. „Nur Europa kann uns Basken zusammenbringen“, sagt er. Vorerst erwartet er die Schaffung baskischer Institutionen: ein eigenes Département, eine Universität und die längst überfällige französische Unterschrift unter die europäische Charta der Minderheitensprachen.

„Ich bin kein Einzelfall, sondern einer von vielen“, beginnt Xavier Ezkerra den Bericht über sein Leben. 1975, dem Todesjahr des Generalisimo, floh er vor der spanischen Polizei nach Frankreich. Seither schlägt er sich durch: Anfangs verhalf ihm noch der von einem baskischen Exilminister gegründete Solidaritätsverein „Anai Artea“ – unter Brüdern – zu Arbeit und Wohnung in Frankreich.

Paris schob spanische Basken nach Afrika ab

Nach dem Amtsantritt der sozialistischen Regierungen in Paris und Madrid änderte sich das Klima. Die „Antiterroristischen Befreiungsgruppen“ (GAL) begannen, baskische Flüchtlinge mit Entführungen und Morden zu tyrannisieren. Die französische Regierung entledigte sich anderer spanischer Basken durch Abschiebung in afrikanische und lateinamerikanische Länder. Xavier Ezkerra kam ins Gefängnis und – nach Absitzen seiner Strafe – für unbefristete Zeit in „Stadtarrest“ in das nordfranzösische Lille, von wo er sich nicht entfernen durfte. Ohne Genehmigung kehrte er im vergangenen Jahr ins Baskenland zurück.

In seinem Dorf bei San Sebastián ist Xavier Ekerra, der den bewaffneten Kampf weiter für legitim hält, längst ein Ehrenbürger. Das Rathaus schickt ihm die Protokolle der Gemeinderatssitzungen und Busse voller Besucher hinterher. Aber dorthin zurück kann er nach eigenen Worten nur, wenn er auf die politischen Forderungen verzichten würde, wegen derer er vor 21 Jahren gegangen ist.

Zuhause fühlt sich der Mann, dessen spanischer Paß längst abgelaufen ist, ohnehin auch in Bayonne. Er kann auf Baskisch über „die Franzosen“ und „die Spanier“ reden, hat Freunde, die ihn unterstützen und ist nah bei seiner Familie. Erst nach langem Überlegen fällt ihm ein Unterschied zwischen den Basken der drei Nord- und der vier Südprovinzen ein – ein Satz seines Großvaters. „Wir sind immer gegen Spanien in den Krieg gezogen“, sagte der seinen Enkeln, „die haben in jedem Krieg für Frankreich gekämpft“.