„Mitternacht war alles abgesagt“

■ Roland Tremper, Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG)

taz: Herr Tremper, gestern wollten Sie bei Karstadt in Berlin noch streiken, heute nicht mehr. Warum?

Roland Tremper: Wir haben gestern mittag erfahren, daß die HBV den Streikort öffentlich verkündet hat. Und zwar obwohl wir vereinbart hatten, daß wir diesen Ort vorher nicht nennen. Daher gab es keine Garantie mehr für einen erfolgreichen Streik. Ganz im Gegenteil, wir mußten davon ausgehen, daß der Streik erfolglos bleiben würde. Deswegen haben wir ihn gestern abend abgesagt. Das Verhalten der HBV war da zumindest sehr unprofessionell und auch schädlich.

Aber ein Streik ist doch keine Geheimmission, von der niemand etwas wissen darf.

Ein Streik soll doch Druck auf Arbeitgeber ausüben. Im Einzelhandel erreiche ich das nur, wenn ich den Laden geschlossen halte. Es gibt Alarmpläne bei Einzelhändlern wie Karstadt. Die sind innerhalb von ein, zwei Stunden in der Lage, zwei bis vier Dutzend Führungskräfte in ein Haus zu schicken. Als wir heute früh vor Karstadt Flugblätter verteilt haben, sind wir vom Geschäftsführer des Hauses empfangen worden. Und der hat uns mit einem Grinsen erklärt, er wisse seit Sonntag nachmittag von einem Streik, er sei vorbereitet.

Wie? Dann öffnen Abteilungsleiter morgens die Türen zum Sommerschlußverkauf und beruhigen die Massen, die sich die Schnäppchen aus den Händen reißen?

Ja, natürlich. Genauso ist es.

DAG und HBV sind zerstritten, und die Unternehmer sind der lachende Dritte.

Richtig, letztenendes profitieren davon nur die Arbeitgeber. Andererseits konnten wir es den Leuten auch nicht zumuten, vor der Tür zu streiken, in dem Wissen, drinnen sind genug andere, die den Betrieb in Gang halten.

Geben Sie's zu, das Ganze war nichts als ein PR-Gag der DAG.

Für PR-Gags bin ich durchaus zu haben. Aber nicht auf dem Rücken der Leute, deren Interessen ich wahrnehme. Gestern nachmittag kam ich mit meiner Tochter nach Hause, da hatte schon ein Journalist angerufen und gefragt, ob denn tatsächlich bei Karstadt gestreikt wird. Bis dahin bin ich davon ausgegangen, daß wir streiken. Wir hatten immerhin zwei Dutzend Leute als Streikposten eingeteilt, der Kaffee war reserviert, die ganze Streiklinie war vorbereitet. Bis Mitternacht haben wir das alles wieder abgesagt. So was ist doch kein PR-Gag. Interview: Kathrin Lohmann