■ 1,7 Milliarden Mark will die Regierung bei der Arbeitsförderung in Ostdeutschland einsparen. Dort sind ABMler indes gar nicht mehr wegzudenken: Wichtige soziale, kulturelle und ökologische Aufgaben wären ohne ABM nicht zu erfüllen.
: Kampfr

1,7 Milliarden Mark will die Regierung bei der Arbeitsförderung in Ostdeutschland einsparen. Dort sind ABMler indes

gar nicht mehr wegzudenken: Wichtige soziale, kulturelle und ökologische Aufgaben wären ohne ABM nicht zu erfüllen.

Kampfreserve des Arbeitsmarkts

Sie beseitigen wilde Müllkippen, nähen Topflappen für Tschetschenien oder arbeiten Stasiakten auf. Sie betreuen obdachlose Jugendliche, schreiben Dorfchroniken oder bepflanzen den Rathausvorplatz. Aus dem ostdeutschen Alltag sind ABMler nicht mehr wegzudenken.

530.000 Menschen in den neuen Bundesländern bilden die Kampfreserve des Arbeitsmarktes. Ende Juni steckten nach Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit 201.400 in (in der Regel) auf ein Jahr befristeten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. 90.000 erhielten nach § 249h Arbeitsförderungsgesetz ABM-ähnliche Lohnkostenzuschüsse. 240.400 Ostdeutsche waren in Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen untergebracht. Eine weitere halbe Million Arbeitnehmer profitieren indirekt von den Effekten dieser Arbeitsmarktpolitik. Jeder siebte ostdeutsche Arbeitnehmer verdient somit sein Geld auf dem oder durch den zweiten Arbeitsmarkt.

Die Pläne der Bundesregierung haben die Ostdeutschen aufgeschreckt. 1,7 Milliarden Mark will die Bundesregierung bei der Arbeitsförderung in Ostdeutschland im Bundeshaushalt des kommenden Jahres einsparen. Bis zum Jahr 2000 soll der zweite Arbeitsmarkt auf Westniveau zurückgeführt werden. Zwei Drittel aller ABM-Stellen würden dann wegfallen. Gleichzeitig sollen die ABM-Löhne von 90 auf 80 Prozent des Tariflohns, die Zuschüsse für Beschäftigungsgesellschaften auf 70 Prozent gekürzt werden.

Nach Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeit würde sich mit den Plänen der Bundesregierung die Zahl der Arbeitslosen in den neuen Bundesländern bereits im kommenden Jahr um 300.000 erhöhen. Bis zur Jahrtausendwende könnte sich die Schere zwischen der tatsächlichen Arbeitslosenquote von 30 Prozent in den neuen Bundesländern und der offiziellen Quote von 15,0 Prozent nach oben schließen. Denn auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt sieht es finster aus. Der Aufschwung Ost ist ins Stocken geraten. Wirtschaftsforscher rechnen allein konjunkturbedingt in diesem Jahr mit einem weiteren Abbau von mindestens 120.000 Arbeitsplätzen.

Auch wenn der Höhepunkt staatlich geförderter Beschäftigung bereits vier Jahre zurückliegt, ist der Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern bis heute wesentlich stärker von der Bundesanstalt für Arbeit abhängig als der in den alten Bundesländern. Während im Westen auf 100 Arbeitslose 14 Maßnahmen zur Fortbildung, Umschulung oder Arbeitsbeschaffung kommen, sind es im Osten 43. Doch Theo Waigel macht eine andere Rechnung auf. Rund 10 Milliarden Mark läßt sich die Bundesanstalt für Arbeit die Arbeitsförderung in diesem Jahr kosten. Davon fließen 70 Prozent in die neuen Bundesländer, obwohl dort nur 30 Prozent der Arbeitslosen gemeldet sind. Doch auch in Westdeutschland gibt es Arbeitsnotstandsgebiete. Schon heute ist die offizielle Arbeitslosenquote in Dresden niedriger als in Wilhelmshaven, in Ostberlin niedriger als im Westteil der Stadt.

Ob Theo Waigel mit der Reduzierung der AB- Maßnahmen tatsächlich viel Geld spart, erscheint fraglich. Finanziell ist die Streichung der ABM-Stellen ein Nullsummenspiel, denn anderenfalls wären die Beschäftigten auf Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe angewiesen.

Über Sinn und Unsinn von AB-Maßnahmen streiten die Experten schon seit Jahren. Nach Ansicht des Instituts der deutschen Wirtschaft ist die Grundidee von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gescheitert, denn das politische Ziel der Wiedereingliederung von Arbeitnehmern in den ersten Arbeitsmarkt werde nicht erreicht. Sie sei im Gegenteil die „teuerste Form der Arbeitsmarktpolitik“. Viele qualifizierte ostdeutsche Arbeitnehmer würden, so kritisieren Wirtschaftswissenschaftler, lieber mit 90 Prozent des Tariflohns auf einer ABM-Stelle sitzen, als – unter Umständen untertariflich bezahlt – auf dem ersten Arbeitsmarkt ihr Glück zu versuchen.

Andere Forscher hingegen sehen die Bilanz nicht so negativ. Nach Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat in Ostdeutschland fast die Hälfte der ABMler nach einiger Zeit eine reguläre Beschäftigung gefunden. Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle sieht in den ABM-Projekten sogar eine Gefahr für den ersten Arbeitsmarkt; die Entwicklung privatwirtschaftlicher Unternehmen werde „regelrecht behindert“. In einigen Handwerksbereichen wie etwa dem Garten- und Landschaftsbau habe der zweite den ersten Arbeitsmarkt fast verdrängt. 110.000 von der Bundesanstalt für Arbeit geförderten Arbeitnehmern stünden lediglich 15.000 in Privatunternehmen gegenüber.

Den Kommunen fehlt allerdings das Geld, um reguläre Firmen zu beauftragen. In vielen ostdeutschen Städten und Gemeinden haben ABM-Träger alle wichtigen, aber nicht gesetzlich vorgeschriebenen sozialen, kulturellen und ökologischen Aufgaben übernommen. Vielfach sind dort Beschäftigungskreisläufe auf ABM- Basis entstanden. ABM-Kräfte betreuen Jugendliche oder Obdachlose. Die Einrichtungen werden mit Möbeln ausgestattet, die von ABM-Projekten aufgearbeitet wurden. Die Versorgung übernehmen Sozialküchen, die ebenfalls ohne ABM nicht existieren könnten. In nicht wenigen Kommunen ist das Arbeitsamt der größte Arbeitgeber. Die Fixierung auf ABM fördert nicht selten Fehlentwicklungen. Denn finanziert wird nicht, was notwendig ist, sondern das, was nach den engen Regelungen des Arbeitsförderungsgesetzes vom Arbeitsamt bezahlt wird. So gibt es zum Beispiel Kommunen, die ihre Wanderwege bereits zum zweiten Mal ausgeschildert haben, während die Schlaglöcher immer noch dieselben sind.

Von ABM-Kräften werden jedoch eine Reihe von Arbeiten ausgeführt, die sich für Privatunternehmen nicht rechnen würden oder ohne staatliche Förderung unbezahlbar wären. Die Sanierung ökologischer Altlasten oder die Rekultivierung des Braunkohletagebaus wäre ohne die vom Arbeitsamt finanzierten Beschäftigungsgesellschaften undenkbar. Die Konkurrenz zur Privatwirtschaft wird auch dadurch begrenzt, daß jede Arbeitsförderungsmaßnahme von der Zustimmung der Industrie- und Handelskammer oder der Handwerkskammer abhängig ist.

Ein Teil des Problems liegt dabei auch in der Arbeitswut der Ostdeutschen. Die Erwerbsquote in den neuen Bundesländern wird nach Berechnungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Ende diesen Jahres mit 64 Prozent bereits zwei Prozent über dem Westniveau liegen. Dennoch ist die Unterbeschäftigungsquote im Osten mit rund 20 Prozent doppelt so hoch wie im Westen. Dies hat einen einfachen Grund: Die Erwerbsneigung, der Wunsch zu arbeiten, liegt in Ostdeutschland fast zehn Prozent höher als im Westen. Christoph Seils