Wenig Betriebe bieten Lehrstellen freiwillig an

■ In Ostdeutschland bilden nur 30 Prozent der Industriebetriebe aus. Wirtschaftvertreter fordern Reduzierung der Ausbildungsvergütung um 20 Prozent

Berlin (taz) – Jeder Jugendliche in den neuen Bundesländern könnte einen Ausbildungsplatz erhalten, wenn die Ausbildungsvergütungen gesenkt werden würden. So lautet das Zwischenergebnis einer Diskussionsrunde zwischen Vertretern der Wirtschaft, der Bundesregierung und der Bundesanstalt für Arbeit, die gestern in Berlin tagte. Die Arbeitgeber sollten Lehrlingen bis zu 20 Prozent unter Tarif bezahlen, dann könnten auch die 75.000 Ausbildungsstellen geschaffen werden, die in den neuen Ländern noch fehlen.

Die Diskussionsteilnehmer zogen eine Halbzeitbilanz im Ausbildungsjahr 95/96. Im Mittelpunkt stand die Situation des Lehrstellenmarktes im Osten. Zum Ende Juni hatten sich dort 88.000 junge Männer und Frauen bei den Arbeitsämtern wegen einer Lehrstelle gemeldet. Ihnen stehen 13.000 offene Lehrstellen gegenüber. Von allein boten nur 2.000 Arbeitgeber eine Ausbildung an. Die Akquisiteure der Bundesanstalt für Arbeit klopften in 43.800 Betrieben an und konnten hernach 11.000 freie Stellen melden.

Die Wirtschaft im Osten schert sich wenig um den Nachwuchs. Noch nicht einmal 40 Prozent aller Handwerksbetriebe bilden aus, im industriellen Sektor sind es lediglich etwas über 30 Prozent. Hanns- Eberhard Schleyer, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, ließ die Gründe für die mangelnde Bereitschaft exemplarisch am Beispiel Frankfurt/Oder erfragen. Ein Drittel der Betriebe gab an, wegen fehlender Aufträge nicht ausbilden zu können, 14 Prozent sagten, sie stünden kurz vor dem Konkurs. Die restlichen 50 Prozent sehen sich aus fachlichen oder persönlichen Gründen nicht in der Lage, auszubilden.

Die Jugendlichen stehen mit dem Rücken zur Wand. Nur jeder siebte Schulabgänger in den östlichen Ländern kann damit rechnen, einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Trotzdem sehen Politiker keinen Grund zur Sorge. „Die Bilanz sieht nicht rosig aus, sie stimmt mich aber durchaus optimistisch“, frohlockte gestern Fritz Schumann, Saatssekretär im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Bislang sei es noch immer gelungen, am Ende des Jahres die meisten Schulabgänger zu versorgen. Wie dies in diesem Jahr angesichts einer wachsenden Zahl der Schulabgänger funktionieren soll, sagte der Beamte nicht. Annette Rogalla