Der taz-Sommerroman: „Dumm gelaufen“ – Teil 15

Zum Schluß legten sich die schwarzen Socken auf den Boden. Sie waren es gewohnt sich auf den Boden zu legen, von den Frauen schon immer verachtet, gerade wenn Brook einen harten Balz vor dem weiblichen Geschlecht tanzte. Und Brook war Adam. Und nahm kein Blatt vor den Schwanz. FKK ist Mensch. FKK ist Leben. FKK ist auch Sex und Crime. Und Kommissar. Und all diese gut ausgeleuchteten Sachen. Der Spiegel; das Bild in ihm lief mit Scham voll. Irgendwie wollte der Spiegel wieder bei Schneewittchen mitspielen. Er beschlug. Wenn Brook sieben Zwerge wäre. Ein vergifteter Apfel. Oder glühende Kohle. Diese Art versteckter Sexualität aber genügte dem Spiegel nach dem Striptease von Brook. Und er zerbrach auf der Stelle. Brook hoste sich wieder an. Die Show war vorbei. Die Abteilung Sex war erledigt. Und Brook hatte sich noch immer sehr lieb.

Auch seinen Körper. Selbst nach diesem Exhibitionismus, auch wenn niemand in seinem Badezimmer Zeuge dieser Auskleide war.

Schaumkronen auf einem Bett aus Erbrochenem.

Zensor plant seinen perfekten Suizid: Er muß nur eines tun; Afram unter die heiße Dusche schicken. Alles klar!?

Siebzehn Stunden später! Sie erwachten; die Augen von Afram. Sie ließen Afram frei; zurück in die Wildnis seiner Wohnung. Und der Schlaf verkrümelte sich in ihnen. Zensor schien noch zu schlafen. Irrlichter überallten auf den Dächern. Und die Häuser im Hinterhof zogen sich das obligate schwarze Abendkleid an. Fern glockte die St.-Georg-Kirche am Spadenteich. Ein Martinshorn flammte durch die Nacht; Junkies sammeln. Manchmal Penner. Selten Alkoholiker. Und Stimmen wellten von Wand zu Wand. Aus dem Spätheimkehrer im Souterrain schwappte ein „Hello, boy! Come with me!“, die Stimme des Hinterhofs, die Stimme von Edith Piaf über die Stufen. Fenster gähnten auf und schlossen sich. In den vertrauten Rückwänden der Häuser zog Stille ein. Die Stadt hielt den Atem an. Und ganz Hamburg stahl sich aus der Welt, bis zum nächsten Morgen. Afram sah sich in den Fenstern seiner Nachbarn um. Ihre Namen kannte Afram nicht. Ihre Stimmen fetzten von Zeit zu Zeit in seine Wohnung. Und eigentlich kannte Afram nur ihre Schemen; die Rituale der Schemen hinter den schwach erleuchteten Gardinen.

Ein Schattentheater. Tagaus. Tagein. Alltagen. So mußte auch der Alltag der beiden Schwestern auf dem Strich gewesen sein. Sie schliefen fest und träumten ungeschminkt in ihren Federn. Nur ihre Mutter vegetierte auf und ab von einem Zimmer in das nächste; so auch ihr Blick. Er robbte an den Fußleisten entlang, krabbte unter jeden einzelnen Stuhl, war der Dietrich in allen Schlüssellöchern, verdächtigte den Papierkorb und stach kurz in die Mülltonne. Schließlich blieb er auf dem Küchentisch hängen. Und die Zunge der Frau begann über das Resopal zu wischeln. Dann Tränen. Dann Weinen. Dann schüttelten sie Krämpfe. Aus ihrer rechten Hand löste sich eine leere Flasche Korn. Sie schrie in Scherben auf; auf dem Linoleum. Und die beiden schwulen Jungs!? Sie hatten sich den Rosengarten versprochen. Sie lagen dicht an dicht, wie Eierlöffel, umflackert vom Licht einer Kerze. Und Träumen. Männerschwärme. Aframs Blick ruhte sich auf der weißen Zeichnung neben der Sandkiste unten im Hinterhof aus. Es war der Umriß von Herbert Schmackes. Sofort drang der Umriß in Afram ein, ohne sich zu erkennen zu geben.

Aframs Augen identifizierten ihn als den Umriß eines Mannes. Aber Aframs Hirn reagierte nicht. Es fixierte das letzte Tattoo von Herbert weiter, aber ohne eine Übersetzung in seine eigentliche Bedeutung vorzunehmen. Aber dann zuckte Afram zusammen. Der Umriß schmeckte ihm nach Erinnerung. Zensor zuckte nicht. Die Erinnerung schmeckte ihm nicht. Mord? dachte Aframs linke Hirnhälfte.

(Fortsetzung folgt)

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