Alles soll so sein wie vorher

„Nur ein Opfer, keine große Sache“: Seit gestern ist Atlantas Centennial Park wieder offen – der Ort der Bombe soll Olympia gefälligst die Freude zurückgeben  ■ Von Matti Lieske

Atlanta (taz) – „Wenn der Park wieder öffnet, werde ich der Erste dort sein“, hatte Matt Ghaffari, kalifornischer Silbermedaillengewinner im Ringen, gesagt und damit die in Atlanta vorherrschende Geisteshaltung ausgedrückt: Trotz. Wir lassen uns nicht unterkriegen, ist die Devise, der sich auch das neueröffnete House of Blues anschloß. In dem direkt am Centennial Olympic Park liegenden Etablissement war zum Zeitpunkt der Bombenexplosion James Brown aufgetreten. Danach ließ es T- Shirts drucken, die auf der Vorderseite die Worte „Had to...“ und hinten „...Go back to the park“ tragen.

Mit einer kleinen Trauerzeremonie wurde der Park gestern morgen wieder eröffnet. Tausende gingen früh um acht im Gänsemarsch und unter genauer Beobachtung durch die Tore. Sie hatten zum Teil schon Stunden auf die Öffnung gewartet. 2,5 bis 3 Millionen Dollar Einnahmeverluste sind in den drei Tagen der Schließung entstanden. Nun hoffen die Olympia-Veranstalter inständig, daß alles wieder so werden möge wie vorher. „Die letzte Story über diese Spiele wird der Triumph von Atlanta sein“, sagt tapfer Bill Campbell, der Bürgermeister der Stadt. Ebenso wie Billy Payne, dem Chef des Organisationskomitees (Acog), fällt es ihm schwer zu begreifen, daß die mit pompösen Worten präsentierten Jahrhundertspiele wohl kaum als besonders gelungen in die Olympia-Geschichte eingehen werden.

Die Bombe im Park hat der ohnehin wegen ihrer extremen Kommerzialisierung und dem organisatorischen Chaos scharf kritisierten Veranstaltung den Rest gegeben. Sie traf tatsächlich das Herzstück des olympischen Atlanta – und das sagt alles.

Der Centennial Olympic Park war keineswegs deshalb ständig überfüllt, weil er sonderlich schön wäre, weil die Sponsorenfirmen großartige Attraktionen böten oder wegen der musikalischen Darbietungen. In den Firmenpavillons konnte man meist bloß Krimskrams oder überteuertes Essen und Trinken kaufen. Wegen der Hitze fand sich zumindest tagsüber auch bei renommierten Bands meist nur ein kleines Häuflein von Zuhörern ein. Der Park war deshalb beliebt, weil die Menschen sonst nirgends hingehen konnten.

„Wenn der Park geschlossen bleibt, hat die Freude keinen Platz“, sagt eine mexikanische Touristin. Man muß es Billy Payne zugute halten, daß er überhaupt auf die Idee gekommen ist, einen Treffpunkt zu schaffen, wo Leute hingehen können, die gerade keinen Wettkampf auf dem Programm oder keine Karten haben.

Deutlich wurde die Funktion des Parks in den Tagen, als er vom Massenanziehungspunkt zum Tatort wurde und danach allein dem FBI gehörte. Sichtlich unschlüssig und ziellos schlenderten die Olympia-Touristen durch die umliegenden Straßen und wußten nichts mit sich anzufangen. Da waren auch noch die umliegenden, natürlich ebenfalls von Firmen betriebenen Vergnügungszentren wie Coca- Colas Olympic City, der Nike-Club oder die Celebration of the Century geschlossen. Die Wiedereröffnung des Parks soll, auch wenn es nicht ausgesprochen wurde, einen Schlußpunkt unter das Unglück setzen und erneuter Hochstimmung Tür und Tor öffnen.

Am liebsten wäre es den Olympia-Betreibern, wenn kein Mensch mehr von dem Attentat reden würde. Diesen Eindruck hat auch der Ehemann von Alice Hawthorne gewonnen, die bei der Explosion starb. Kein IOC- oder Acog-Mitglied habe ihm sein Beileid ausgesprochen, beklagte er sich: „Sie erweckten den Eindruck: Nun ja, nur ein Todesopfer, keine große Sache.“

Nach Bekanntwerden der Kritik beeilte sich Andrew Young, ehemaliger Mitstreiter von Martin Luther King und Goodwill-Fachmann des Acog, sowohl den Gatten als auch die im Krankenhaus liegende Tochter von Alice Hawthorne aufzusuchen – eine Idee, auf die zuerst Ringer Matt Ghaffari gekommen war.

Die Olympia-Besucher hatten bereits in den letzten Tagen deutlich gemacht, daß sie den Park wieder zu füllen gedenken, auch wenn sie nun mehr Belästigungen in Kauf nehmen müssen. Die Zahl der Sicherheitsleute wurde verdoppelt. Zwar wurde darauf verzichtet, an den vier Eingängen Detektoren aufzustellen, es werden aber seit gestern Durchsuchungen von Taschen und Rucksäcken vorgenommen, sofern den Sicherheitskräften betreffende Teile oder deren Träger verdächtig vorkommen. So kann jeder Olympia- Tourist nun rausfinden, ob er wie ein Terrorist aussieht.