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: Das Fernsehjahr

Gedacht war das „Jahrbuch Fernsehen“, gerade zum fünften Mal erschienen, als „Bündelung der Reflexionen, die das Fernsehprogramm über das Jahr hinweg in den überregionalen Zeitungen findet“. So Herausgeber Lutz Hachmeister. Inzwischen versammelt es nicht nur besonders gelungene Kritiken, sondern ist mit seinem Serviceteil auch eine Art „Gelbe Seiten“ des TV-Business. Neben Rückblicken finden sich ein halbes Dutzend spannender Essays jüngerer AutorInnen – die Themen des Jahres.

So befaßt sich Frank Thomsen mit der „Entautorisierung der Medienpolitik“ in Deutschland, die von den zuständigen Politikern nur noch als „Standort“-Frage abgehandelt wird. Heike Pöhlmann porträtiert hintergründig drei Produzenten, die einst für Leo Kirch arbeiteten und heute selber mit ihm Geschäfte machen.

Thomas Schuler untersucht die Fusionsmanie im US-Mediengeschäft, und Heike Fendel stellt die These auf, daß die TV- Werbewirtschaft mit ihrer Fixierung auf „jugendliche Zielgruppen“ die „Jugend im Fernsehen abgeschafft hat“: „Die Domestizierung von Jugendkultur als Prämisse ihrer Daseinsberechtigung“. Die „Medienstrategien“ von Greenpeace beschreibt Michael Hanfeld als manipulatives, massenpsychologisches Instrument. Überschrift: „Flottenpolitik“.

Den Daytime-Talkrunden in den USA, Freakshows, die in ihrer Abgedrehtheit den unsrigen noch voraus sind, widmet sich taz-Korrespondentin Andrea Böhm. Die christliche Rechte macht inzwischen gegen die Talkshows mobil, weil diese sich besonders gern Themen wie Sex, Inzest oder Drogen annehmen. Auch hierzulande könnte es zu einem solchen „Kulturkrieg“ um die voyeuristischen Brabbelrunden kommen: Kürzlich kassierte Sat.1 einen Bußgeldbescheid der Medienwächter wegen der Beschreibung sexueller Kack- und Pipispielchen in „Vera am Mittag“. Kotte

„Jahrbuch Fernsehen 1995/1996“. Grimme Institut, 445 Seiten, 39,80 DM