■ Das Maastrichter Konzept für die Währungsunion ist gescheitert. Maastricht II muß sie grundlegend reformieren
: Waigels little helpers?

Geht es bei der Europäischen Währungsunion wirklich um Westbindung oder Mitteleuropa? Joscha Schmierer hält – wie manch andere „revolutionäre“ Weggenossen von damals auch – die ideologischen Scheuklappen Konrad Adenauers für die Zukunftsformel einer „ernstzunehmenden Linken“. Doch bedeutet der Bau eines deutsch-französischen Kerneuropas tatsächlich mehr „Westbindung“? Gerade die französische Regierung besteht auf der Lockerung der historischen transatlantischen „Westbindung“ zwischen USA und EU. Sie drängt auf eine eigenständige europäische Verteidigungsidentität und will die „neue Nato“ in diesem Sinne von innen umgestalten. Wirtschafts- und währungspolitisch existiert eine deutsche Hegemonie in Europa, seit Frankreich durch das Verhalten der Bundesbank gezwungen wurde, die „sozialistische“ Beschäftigungspolitik der ersten Mitterrand-Jahre aufzugeben und künftig auf Austerität und den harten Franc zu setzen.

Ich bestreite, daß die Folie der „Westbindung“ in einer Ära verschärfter Konkurrenz zwischen den Triademächten USA, EU und Japan/Südostasien die komplexer gewordene Gemengelage zutreffend erklärt. Ich bezweifle, daß „westliche Werte“ wie Freiheit, Rechtstaatlichkeit und Toleranz nunmehr in besonderen geostrategischen Bündniskonstellationen abgebildet werden. Schon in der Zeit des Kalten Krieges wurden diese Werte schnell vergessen, wenn dem andere Interessen entgegenstanden – siehe Vietnam, Chile etc.

„Die“ europäische Einigung, auf die Schmierer setzt, die gibt es nicht. Vielmehr geht es um unterschiedliche, widerstreitende Entwürfe für Europa. Genauso wie die einen etwa bei der gemeinsamen europäischen Außenpolitik nach Abrüstung und Entmilitarisierung rufen, fordern die anderen europäische Interventionstruppen und verstärkte Rüstungszusammenarbeit – übrigens auch völlig quer zur „Westbindungsproblematik“.

Ich teile Altvaters Analyse, daß man kein soziales Europa errichten kann, wenn man zugleich Maastricht folgt. Die geplante Verschärfung der Maastricht-Kriterien durch einen „Stabilitätspakt“ macht aus der Währungsunion eine Austeritätsunion zu Lasten der Lohnabhängigen und Armen. Die Währungsunion à la Maastricht ist zudem kein Projekt der europäischen Einigung, sondern spaltet die EU in Mitglieder erster und zweiter Klasse.

Dennoch: Eine solidarische europäische Wirtschafts- und Währungsunion ist ein lohnenswertes Ziel, wenn sie die gesamteuropäische Einigung fördert. Angesichts der tiefen Krise des Maastricht- Projekts geht es jetzt darum, die monetaristische Architektur der EWU zu korrigieren. Die angelaufenen Verhandlungen über eine Vertragsrevision (Maastricht II) brauchen einen neuen „policy mix“, der verschiedene wirtschaftspolitische Zielsetzungen integriert: Preisstabilität, ökologische Nachhaltigkeit, hoher Beschäftigungsstand, ausgeglichene Einkommensverteilung.

Die Wirtschaftsunion kann nicht allein als deregulierter Binnenmarkt konzipiert werden. Sie muß vielmehr eine Sozial-, Umwelt- und Beschäftigungsunion mit aktiver Struktur- und Regionalpolitik werden. Neben veränderten geldwert- und fiskalisch orientierten Konvergenzkriterien (Wechselkursschwankungen, Inflationsrate, Nettoverschuldung der Haushalte) gilt es zusätzlich realwirtschaftliche Kriterien zu vereinbaren. Zum Beispiel: Bruttoinlandseinkommen pro Kopf der Bevölkerung, Arbeitslosenquoten, Index für nachhaltiges Wirtschaften. Das „Europäische System der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung“, das eine einheitliche Grundlage für die entsprechenden Vergleichsdaten der Mitgliedstaaten liefern soll, sollte auf eine „Ökosozialproduktrechnung“ abzielen, die die Umweltkosten des Wirtschaftens einbezieht.

Außerdem: Wir brauchen ein Beschäftigungskapitel im Unionsvertrag. Es soll die EU und ihre Mitglieder verpflichten, gezielt und koordiniert gegen Erwerbslosigkeit vorzugehen. In ähnlicher Weise könnte nach einem Vorschlag belgischer Wissenschaftler die Sozialunion über gegenseitige Unterstützungsaktionen bei den Sozialsystemen gefördert werden.

Der Umbau der Wirtschaftsunion und die deutlich zutage getretenen Schwierigkeiten mit den Maastricht-Kriterien erfordern, daß die gegenwärtige zweite Phase der Wirtschafts- und Währungsunion verlängert wird. Vordringlichste Aufgabe ist eine solidarische und symmetrische Reform des Europäischen Währungssystems (EWS). Bislang mußten sich nur die sogenannten „Weichwährungsländer“ wie Italien, Spanien oder Portugal durch Inflationsbekämpfung und Stabilitätspolitik an die „Hartwährungsländer“ der D- Mark-Zone anpassen. Durch die symmetrische Reform würden im Gegenzug auch die Hartwährungsländer zu Anpassungsmaßnahmen veranlaßt: zum Abbau von Leistungsbilanzüberschüssen und zum binnenorientierten Ausbau der Beschäftigung. Ein gemeinsames Außenmanagement des EWS gegenüber Drittwährungsräumen durch Transaktionssteuern könnte besser als eine übereilte Währungsunion dazu beitragen, Spekulationswellen erheblich einzudämmen. Maastricht II muß dafür Spekulationssteuern als legitime währungspolitische Instrumente der EU in den Vertrag aufnehmen.

Noch im Maastricht-II-Prozeß kann ein Reformpaket geschnürt werden. Zum erstenmal seit den 80er Jahren besteht eine kleine Chance, die Konservativen in den Hauptländern der EU bis 1998 relativ synchron an der Regierung abzulösen. Nach dem Mitte-Links- Wahlsieg in Italien auch bei den Wahlen in Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik. Zum erstenmal könnte die EU nicht wie bisher als Verstärkerin der zerstörerischen Potentiale globalisierter Marktprozesse wirken, sondern als gewichtige gestaltende Kraft für eine ökologisch-solidarische Weltwirtschaft. Die Linke muß schon entscheiden, ob sie bei der Währungsunion als fünfte Kolonne von Waigel & Co. an einem neoliberalen Markteuropa mitbauen oder ob sie ein ökologisch- solidarisches Reformeuropa durchsetzen will. Frieder O. Wolf