Eine Irrfahrt und kein Ende

Seit der Räumung der East Side Gallery im Berliner Mauerstreifen leben die Rollheimer überall und nirgends  ■ Von Kathi Seefeld

Berlin (taz) – „Vielleicht war das unser Glück, daß wir Frauen auf dem ersten Wagen saßen“, schätzt Anita. „Das hat uns die Prügel erspart.“ Noch immer steckt der Rollheimerin, die bis vor zwei Wochen an der Berliner East Side Gallery lebte, die Angst in den Knochen: „Ich habe selten so zornige Menschen erlebt.“ Anwohner waren mit Hämmern gekommen, Männer und auch Frauen drohten sie umzubringen, zumindest aber ihr Fahrzeug abzufackeln.

Den Neuanfang in Staaken, auf dem vom Senat zugewiesenen Ersatzstandort am Rande der Stadt – so hatte ihn Anita sich nicht vorgestellt. „Die Zustände an der East Side Gallery waren zuletzt echt katastrophal.“ Die Wagenburg sei zu groß, zuwenig überschaubar gewesen, und Leute, die untertauchen wollten, trafen dort auf beste Bedingungen. „Das waren nicht gerade die, mit denen wir immer in einen Topf geworfen werden wollten“, betont auch Rollheimer Jago. Doch gerade weil es dort so zuging, versteht Jago den Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) nicht. „Statt vieler kleiner Wagenburgen will er jetzt nur noch zwei, drei Standorte am Stadtrand übriglassen, alle anderen räumen.“ East-Side-Verhältnisse seien sozusagen vorprogrammiert.

Nach der Räumung der Gallery schien auch für Jago die Gelegenheit, an einen besseren Ort zu ziehen, günstig. Daß es eine Odyssee werden würde, ein Hin- und Hergeschiebe in der Stadt, hatte er nicht geahnt. „Staaken war für uns von Anfang an kein Traumziel. Neben den internierungslagerähnlichen Sicherheitsmaßnahmen wäre vor allem der Weg zur Arbeit oder zum Ausbildungsplatz deutlich weiter gewesen.“

Doch Staaken, das früher DDR war und nach einer Volksbefragung dem Bezirk Spandau zugeordnet wurde, will die WagenburglerInnen auf keinen Fall. Die Bilder von der East Side Gallery sitzen tief. Drogen, Dreck und Tbc.

„Mit Hammerschwingern und militanten Gegnern der Wagenburg haben wir natürlich nichts gemein, doch unsere Kinder müssen auf dem Weg zur Schule am Gelände vorbei“, äußert Connie Saxer, Sprecherin der Anti-Rollheimer-Initiative, ihre Bedenken. Erneut kritisiert sie, daß der Senat entschieden habe, ohne die Betroffenen anzuhören. Als am Montag im Rathaus Spandau endlich Argumente ausgetauscht werden, ist eine Annäherung unmöglich.

„Die Anwohner leben hier in einer Wasserschutzzone“, verteidigt Spandaus Bau- und Umweltstadtrat Thomas Schönemann (SPD) die Bürgerwehr. „Sie leben mit massiven Auflagen, das Parken auf unbefestigten Flächen wird zum Beispiel hart geahndet. Wie kann man da für eine Wagenburg Verständnis erwarten?“ Der Bezirk hat mittlerweile eine Vielzahl Argumente parat, die gegen eine Rollheimer-Ansiedlung sprechen. Zusätzlich ist mit der Berolina Kunststoffgesellschaft eine Eigentümerin aufgetaucht, der ausgerechnet jene Gleisanlagen gehören, die die Wagenburgler passieren müßten, um zu ihrem Stellplatz zu gelangen. „Die Eigentümerin hat uns durch einen Anwalt mitteilen lassen, daß sie ihren Privatgrund nicht zur Überquerung freigeben wird“, sagt Schönemann.

„Eigentlich kann ich die Leute in Staaken verstehen“, meint Jago. „Der Senat hat versucht, sie zu überrumpeln. Da ist keiner hingegangen und hat versucht zu erklären, daß die wenigsten Rollheimer kriminell oder Junkies sind.“ Vielleicht sei das alles auch nur Show, gibt Anita zu bedenken: „Faktisch sind wir ja derzeit alle mehr oder weniger von der Bildfläche verschwunden. Ich denke, Innensenator Schönbohm hält das Problem vorerst für gelöst.“ Ein Irrtum, so Udo Krenzel, Streetworker der Treberhilfe in Berlin. Denn nicht nur die „Pankgräfin“, jene Wagenburg, vor deren Toren Anita und ihre Gruppe nach den Tumulten in Staaken durch die Polizei abgeladen wurden, ist mit hundert BewohnerInnen mittlerweile an die Grenze ihrer Kapazitäten gelangt. Andere Wagenburgen, die sich schon nach den ersten Problemen von der East Side Gallery verabschiedeten, verweigern jeden Kontakt mit den zuletzt Geräumten.

Besonders schwierig ist es für jene, die derzeit ohne ihre Fahrzeuge, teilweise ohne Schlafsäcke unweit der East Side Gallery am Hauptbahnhof kampieren. Nicht nur die Witterung, auch die Zeit arbeitet gegen sie. Vier Wochen wurden ihnen eingeräumt, um nach der Räumung des East-Side- Geländes beim Eigentümer, dem Bundesvermögensamt, die Herausgabe ihrer Wagen und Sachen zu beantragen. „Die Fahrzeuge“, so Anita, „kriegt man aber nur, wenn man einen Ersatzstandort beziehen kann. Staaken kommt da in den nächsten vierzehn Tagen wohl nicht in Frage. Oder?“