Der taz-Sommerroman: "Dumm gelaufen" - Teil 16

Links, links, links. Um die Ecke rum, da stinkt's! kindereimte Zensor. Er achterbahnte über ein paar Nervenstränge direkt in die angestrengte linke Hirnhälfte von Afram. Was stinkt! aberte Afram. Du stinkst! Ich stinke nicht! Afram fing wieder Ohrfeigen. Aus dem psychosomatischen Nichts. Seine Ohren sogen sich voll Blut. Du stinkst! Ich stinke! Ich stinke nicht! Ich stinke! Ich stinke nicht! Ich stinke! Duschen! Duschen? Und Afram ging unter die heiße Dusche. Heiß! Heiß! Noch heißer! Sehr heiß! ordnete Zensor die Temperatur an. Die Poren von Afram trieben nach wenigen Minuten Gift aus. Die Haut teilte sich in welke Höhen und Tiefen. Die Zehennägel krümmten sich vor Vergnügen. Die Kacheln schwitzten Pilze über den Boden. Der Spiegel wurde mit Blindheit geschlagen. Und das heiße Wasser wusch Afram weiter in Sachen Risiken und Nebenwirkungen. Duschen! echote Zensor. Duschen!? Afram schüttelte den Kopf. Und Afram fing erneut Ohrfeigen. Duschen! Afram duschte, duschte und schlief unter dem heißen Wasser mit offenen Augen ein. Er sagte, hörte und bewegte sich nicht mehr. Der Oberkörper auf den Knien, das Gesicht direkt im Wasserstrahl, die Hände umkrampften den Duschkopf und Aframs Blick; irgendwie verbrannt. Sein letztes Bild: Schaumkronen auf einem Bett aus Erbrochenem. Ein perfektes Verbrechen! feixte der Zensor. Er würde zwar mit Afram sterben. Aber niemand würde ihn oder aber Afram vermissen. Er würde konnte sich dann auch nicht mehr vermissen. Zensor hatte nichts zu verlieren. Er war nur ein Kunstprodukt aus Aframs psychischen Werkstätten. Ein Klon, ein Android, ein schlechter Replikant Aframs. Zensor hatte es satt seine Existenz tagtäglich gegen die Psychopharmaka von Afram unter Beweis zu stellen.

Ihr Kinderlein kommet, so kommet doch all, in den Hinterhof, in unseren Saustall ...

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann und Hauze, hauze, immer in die Schnauze, und wenn er kommt, Hauze, hauze, immer in die Schnauze und zum Kennenlernen ein Kinderlied und, und, und: Alter schützt vor Torheit nicht

Kommissar Brook hörte den harmlosen Singsang von Kindern im Hinterhof. Er warf einen längeren Blick auf die Szene. In der Besetzung: Zwei Rentner auf der Bank und vier Kinder im Sand. Alles aus Nachbarschaft. Oma und Opa sitzen auf dem Sofa, Oma läßt ein fliegen, Opa muß ihn kriegen, Opa pißt ins Ofenloch, Oma denkt, der Kaffee kocht! Glatter und Poller saßen auf der Ersatzbank. Das Spiel der Kinder lief im Sandkasten. Niemand wechselte Glatter und Poller ein. Sie hörten den höhnischen Singsang der Kinder. Er galt ihrem Alter. Sie schluckten das Opa-pißt-insOfenloch. Sie fraßen sich satt mit Wut im Bauch, aber ihre Mienen spielten nicht. Auch ihre Falten hatten nichts zu sagen. Noch nicht! Glatter lächelte kurze saure Zitronen aus seinem Mund. Poller grinste bittere Orangenmarmelade zwischen seinen Rissen in den Lippen. Dann widmete Glatter seine ganze Aufmerksamkeit einem Suzuki Swift. Hubraum: 1298 ccm, Zylinder: 4, Leistung 50kw/68 PS, Tempo: 160 km/h. Das war ein Wagen; ein Matchbox-Auto. Wie im echten Leben. Mit vier Rädern unten dran. Sie würden schon kommen, dachte Glatter, sie kamen immer. Schon früher sind sie zu ihm gekommen. Mit diesem Oh, guck mal, was der hat und Das will ich auch haben. Oder dem Aber-Hans-seine-Eltern- haben-ihm-das-auch-gekauft; immer wenn Glatter den aktuellen Tagesschatz auf dem Spiel- platz mitgebracht hatte. Das war wie Schokolade von Mitschnackern. Oder wer hat den längsten Diller!? Das hatte ihm zum Führer, zum Anführer seiner Generation gemacht. Poller konnte seinetwegen der zweite Anführer sein, dachte sich Glatter, er war ein Freund, ein guter Freund!

(Fortsetzung folgt)

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