Zeitgenössische Beschwörungsrituale

■ In acht Wochen muß sich das Institut für Traditionelle Musik aufgelöst haben. Der Institutsleiter hofft auf ein Wunder und flirtet mit Bayern als neuer Heimat

Großzügigkeit, Weltoffenheit, Vielfalt. Das sind die Attribute, mit denen die Berliner Kulturszene gerne beschrieben wird. Doch werden diese Begriffe immer mehr zu Schlagworten und die Unterschiede zu anderen deutschen Großstädten immer geringer.

Die Liste der bedrohten Institutionen ist lang: Das Haus der Kulturen der Welt muß in diesem Jahr rund zwei Millionen Mark einsparen. Das internationale Künstlerprogramm des DAAD schrammt mangels Masse seit Jahren am Rande der Handlungsunfähigkeit entlang. Das Iberoamerikanische Institut soll geschlossen, das Lateinamerika-Institut der Freien Universität aufgelöst werden. Und das sind nur einige der Einrichtungen, die bisher dazu beigetragen haben, daß sich die Berliner Kulturszene von der in München, Stuttgart, Köln oder Hamburg abhebt, von ländlichen Gegenden ganz zu schweigen.

Besonders dramatisch ist die Situation des Internationalen Instituts für Traditionelle Musik (IITM). Die bundesweit einmalige, weltweit renommierte Forschungseinrichtung wird, wie bereits mehrfach berichtet, ihre Arbeit zum 30. September einstellen müssen. Der Grund: Kultursenator Peter Radunski (CDU), Herr über einen Jahreshaushalt von rund 1,1 Milliarden Mark, hat kein Geld. Daher soll sich das von dem Schweizer Musikprofessor Max Peter Baumann geleitete, als gemeinnütziger Verein eingetragene und vom Senat bisher mit jährlich etwa einer Million Mark unterstützte Institut selbst „liquidieren“. Ob sich der dadurch entstehende Schaden in D-Mark umrechnen läßt, ist mehr als fraglich. Seit seiner Gründung durch Yehudi Menuhin und Alain Danielou im Jahr 1963 hat das IITM ein mehrere tausend Bände umfassendes Klangarchiv vom Aussterben bedrohter Musikkulturen aus aller Welt zusammengetragen, Hunderte von Schallplatten und CDs produziert.

Das Festival Traditioneller Musik gehört in Berlin zu den jährlich wiederkehrenden Höhepunkten in Sachen „Weltmusik“. Die vom IITM herausgegebene Zeitschrift World of Music hat Abonnenten in über sechzig Ländern der Erde. Seine Buchreihe „Intercultural Music Studies“ zählt zu den bedeutendsten Publikationen des Fachgebiets Ethnomusikologie, das – Ironie der Geschichte – am Anfang dieses Jahrhunderts auf Initiative der Musikforscher Erich von Hornbostel und Curt Sachs ausgerechnet in Berlin entstanden ist.

Das alles ist den Berliner Kulturbürokraten offenbar völlig schnuppe. Geht es nach Kultursenator Radunski, soll die Sammlung des IITM von der gleichfalls darniederliegenden Stiftung Preußischer Kulturbesitz „übernommen“ werden, die bislang vom IITM organisierten Veranstaltungen sollen künftig im Haus der Kulturen der Welt stattfinden.

Daß er über den Besitz des Vereins juristisch gesehen überhaupt nicht verfügen kann, stört Radunski dabei wenig. Er glaubt sich im Recht, und sei es nur das Recht des Stärkeren.

Doch kampflos aufgeben will Max Peter Baumann sein Institut nicht. Baumann sucht „krampfhaft“ nach Alternativen, hofft darauf, daß doch noch ein „Wunder“ geschieht. Am 13. und 14. August wird im Haus der Kulturen der Welt ein Symposium stattfinden, das sich mit der „kultur- und wissenschaftspolitischen Bedeutung der Ethnomusikologie in der Hauptstadt Berlin“ beschäftigt. Für den Fall, daß dieses zeitgenössische Beschwörungsritual – was wahrscheinlich ist – nichts nützt, hat Baumann immer noch alle Möglichkeiten, die einem angesehenen Wissenschaftler zur Verfügung stehen.

Vorsichtshalber hat Baumann, der einen Lehrstuhl an der Universität Bamberg innehat, schon einmal beim bayerischen Kultusministerium angefragt, ob der Verein in Zukunft nicht weiter südlich eine neue Heimstatt finden könnte. Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU), der nach dem Verkauf des landeseigenen Energiekonzerns und dem damit verbundenen warmen Geldregen sein Herz für die Kultur entdeckt hat, wird sich nicht lange bitten lassen. Ulrich Clewing