Uncool by Nature

Und Patti ging zum Regenbogen: Nichts als positive Nachrichten beim Konzert von Patti Smith im Berliner Tempodrom. Der Sohn rockte auch mit!  ■ Von Thomas Groß

Man soll sie ja nicht gegeneinander ausspielen, unsere Alten, über die in letzter Zeit wieder so viel geschrieben stand, aber das Live- Comeback der Patti Smith hat in Berlin doch den höchsten Mobilisierungseffekt gezeitigt – wahrscheinlich, weil sie keine weitere Station einer Never-Ending-Tour angehängt hat und auch nicht einfach aus einem Lost-Weekend zurückgekehrt ist, sondern aus einem 17jährigen Erziehungsurlaub. Das ist ein Zeitraum, in dem sich die schönste Boheme verläuft.

Patti hingegen hat es nicht nur geschafft, die 76er Band-Familie weitgehend zu rekonstruieren, sie hat den Sohn einfach mitgebracht. Gleich nachdem sie sich im Zirkuszelt des Tempodrom bei „Dancing Barefoot“ in ausgelassener Demutsgeste die Schuhe ausgezogen und dem Publikum vorgeworfen hat, kommt ein 14jähriger Junge wie frisch aus Wayne's World von der Seite herein und kriegt die Gitarre umgeschnallt. Und spielt ... da-da-daaaaaa ... ja, verdammich ... ist das nicht ... genau!! „Smoke On The Water“! Von Deep Purple! Das Stück, das alle Gitarrenhelden hassen, weil sie selber mal damit angefangen haben. Spätestens jetzt wissen alle: Das hier verläuft eher uncool.

Und es ist noch nicht einmal ein Trick. Der Rock'n'Roll, wie er an diesem Abend buchstabiert wird (immer noch G-L-O-R-I-A), ist für Patti Smith das Allerernsteste – aber so ernst auch wieder nicht. Keine Allüren, kein Kalkül, es soll eher so sein, als würde sie einfach mal vorbeischauen und guten Tag sagen (hat sie angekündigt), und genau so ist es auch. Gitarrist Lenny Laye zum Beispiel ist in verschwiemelten, Ramones-artigen Lenny-is-a-Punkrocker-Lederhosen erschienen, und Tom Verlaine spielt hinten meditative Schwebetöne und Flageoletts, ohne jemals hinter seinem Hut emporzutauchen.

Das Programm mischt freundlich bunt, was sich im Repertoire gesammelt oder frisch hinzugeschrieben wurde, und gibt es umstandslos den Leuten. „Summer Cannibals“, „Southern Cross“, „The Crystal Ship“ von den Doors – sogar „Because The Night“ kommt annehmbar. Bloß wenn Smith sich in Schwärmereien über den Regenbogen ergeht, der in der Dämmerung als günstiges Naturzeichen über dem Zelt stand, wenn sie zu „About A Boy“ eine Art Opferschale an die Brust drückt und überhaupt Anstalten macht, zu tief in die Kristallkugel ihrer schamanistischen Vision zu blicken, packt den Agnostiker die Befürchtung, diese Frau könne womöglich mehr mit Schwitzhüttenritualen, Gottesanrufungen und Sonnentänzen zu tun haben, als einem lieb ist. Aber ohne solche Risiken und Nebenwirkungen ist der Anflug von Transzendenz halt nicht zu haben, der Smiths asketische Modigliani-Gestalt umspielt. „If you cannot bring good news, then don't bring any“, singt sie in ihrer Version von Dylans „Wicked Messenger“, und das ist hier mehr als nur eine 11-Wörter-Zeile, es ist das mit sanfter Gewalt zum Lebensmantra umgebogene Bekenntnis einer Rock-'n'-Roll- Fünfzigerin, die Böses erlebt hat, und mit dem, was sie kann, einfach weitermacht. Kein Blick zurück im Zorn, kein Trauern um verpaßte Möglichkeiten, und warum soll Rockmusik 1996 kein Geistergespräch für die ganze Familie sein? Es gehört natürlich eine Portion allamerikanisches Positive- thinking dazu, aber (wer hat das noch gesagt?): Solange die Musik spielt, geht das Licht nicht aus.

Vor der allerletzten Zugabe, dem akustischen „Farewell Reel“, der auch das aktuelle Album beschließt, erzählt Patti Smith noch die Geschichte eines ungeschriebenen Songs namens „The Bells of Berlin“. Also folgendermaßen: Fred „Sonic“ Smith, ihr verstorbener Ehemann, sei einmal kreuz und quer durch die Straßen Berlins gegangen, gedämpften Mutes, nichts konnte ihn erheitern, nicht einmal die wunderbaren Leute dieser wunderbaren Stadt, und da... mit einemmal... wie durch ein Wunder... hätten die Glocken von überall her zu läuten begonnen, und er, „Sonic“, sei wieder erhobenen und friedvollen Herzens seiner Wege gegangen.

Nichts gegen krönende Konzertmärchen wie dieses, alles ist gut, was gut endet, wie der Amerikaner sagt, nur soll es auch recht sein, daß dieser Song uns erspart geblieben ist.

Noch ein Konzert, heute in Hamburg