■ Weißrußland: Oppositionsführer will Exil in den USA
: Wie in Sowjetzeiten

Das Szenario erinnert fatal an alte Sowjetzeiten. Der Vorsitzende der weißrussischen Oppositionspartei Volksfront, Senon Posniak, beantragt in den USA politisches Asyl, um weiterer Verfolgung zu entgehen – Weißrußland im Jahre sechs nach der Unabhängigkeit. Doch das kleine slawische Land, das bislang geradewegs auf einen neuen Totalitarismus zuzusteuern schien, ist in Bewegung gekommen. Erstmals steht dem weißrussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko, der sein 10-Millionen-Volk knebelt, die Medien gleichschaltet, Demonstranten nach Gutdünken niederknüppeln und einknasten läßt, eine geballte Oppositionsfront gegenüber. Sogar die Kommunisten haben sich der scharfen Kritik angeschlossen, die in der vergangenen Woche auf Lukaschenko niederprasselte. Damit ist nun wohl auch das Argument entkräftet, bei den Kritikern Lukaschenkos handele es sich um gefährliche Nationalisten oder hitzköpfige Jugendliche mit Spaß an Randale. Soweit sich der Präsident überhaupt noch bemüßigt fühlte, sein Vorgehen mit der Brechstange zu begründen.

Dieser Ruck konnte nicht ausbleiben. Seit dem Frühjahr wollten die Proteste und Demonstrationen in Weißrußland gegen den Präsidenten kein Ende nehmen. Doch mit der Anordnung an das Parlament, sich per Verfassungsänderung quasi selbst zu entmachten, hat Lukaschenko, der bisher auch alle tiefgreifenden Wirtschaftsreformen erfolgreich hintertrieben hat, den Bogen endgültig überspannt.

Auch auf das Referendum sollte sich der Apparatschik besser nicht verlassen. Viele Weißrussen, die ihm im vergangenen Jahr in zwei Volksentscheiden noch grünes Licht für eine Parlamentsauflösung und eine engere Zusammenarbeit mit Rußland gegeben hatten, dürften die jüngsten politischen Entwicklungen inzwischen eines Besseren belehrt haben. Die Kritik in Weißrußland wird nicht mehr verstummen. Und Lukaschenko werden, wie schon so oft zuvor, nur die Schlagstöcke und Gefängnisse bleiben, wenn er an der Macht bleiben will. Doch allein darauf kann sich kein Regime auf Dauer stützen. So könnte die unselige Ära Lukaschenkos, der sein Land ins nächste Jahrtausend führen wollte, schneller als gedacht enden. Barbara Oertel