■ Im Osten hat sich die PDS als politische Alternative etabliert. Die SPD hat den Kampf gegen sie bereits verloren
: In die Falle getappt

Anfang Juli wurde Dieter Kupfernagel mit 52,5 Prozent der Stimmen zum Oberbürgermeister von Sangerhausen gewählt. Der PDSler hatte sich vor allem als lokaler Standortpolitiker profiliert und dem Amtsinhaber von der CDU „Investorenfeindlichkeit“ vorgeworfen. Der Kandidat der SPD scheiterte mit 14,9 Prozent bereits im ersten Wahlgang.

Als PDS-Hochburg war Sangerhausen bislang nicht bekannt. Die Stadt in Sachsen-Anhalt, am Südrand des Harzes, besaß früher weder eine große SED-Verwaltung, noch war sie ein NVA-Stützpunkt. Ähnliches läßt sich aus Hildburghausen berichten. In der südthüringischen Kreisstadt erzielte der PDS-Kandidat für das Bürgermeisteramt kürzlich sogar 59 Prozent.

In der ostdeutschen Kommunalpolitik hat sich die PDS als reale politische Alternative etabliert. In Hoyerswerda, in mehreren Ostberliner Bezirken oder in Sangerhausen beweisen PDS-Politiker jenseits des radikalen Parteiprogramms und der sozialistischen Visionen ihren Pragmatismus – der geht manchmal so weit, daß er schon an Beliebigkeit grenzt. Was in den Kommunen begonnen hat, wird sich in den ostdeutschen Ländern fortsetzen. Der Transformationsprozeß der PDS von der realsozialistischen Staatspartei zu einer ostdeutschen Volkspartei ist weit fortgeschritten. Doch es ist nicht allein die abgewickelte politische Klasse der DDR, die die PDS im Osten stark macht. Die kritische Intelligenz, die politisierte Jugend und unzufriedene Rentner beziehen sich genauso auf die PDS wie Teile des neuen ostdeutschen Mittelstandes.

Die Sozialdemokraten jedoch starren gebannt auf Gregor Gysi oder Sarah Wagenknecht und diskutieren die PDS recht abstrakt als politisches Problem. Die jüngste, von Gerhard Schröder angezettelte Sommerlochdiskussion über die PDS zeigte das wieder deutlich. Dabei wünschen sich viele PDS- Mitglieder und -Wähler nichts sehnlicher, als auch in der neuen Gesellschaft Anerkennung zu erlangen. In ihrem Kern ist die PDS die Partei der SED-Mitläufer. Die Widersprüchlichkeit der Partei ist die vieler Ostdeutscher, die sich nur langsam im vereinten Deutschland zurechtfinden. Die Unfähigkeit der PDS, sich kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen, ist Teil der kollektiven Verweigerung eines Großteils der ehemaligen DDR-Bürger.

Je deutlicher sich die Realpolitiker in der PDS durchsetzen werden, desto gefährlicher wird die Konkurrenz für die SPD. An der ostdeutschen Basis ist die PDS der SPD schon heute deutlich überlegen. Die PDS hat viermal so viele Mitglieder und ist besser organisiert. In gesellschaftlichen Organisationen, wie zum Beispiel im Mieterbund, in der Volkssolidarität oder in den Sportvereinen, ist sie fest verankert. Die SPD hingegen ist in der ostdeutschen Teilgesellschaft ein Hohlkörper geblieben.

Die Interessen und Befindlichkeiten der Ostdeutschen kann niemand besser artikulieren als die PDS. Während der SPD-Vize Wolfgang Thierse über die verlorene kulturelle Deutungsmacht der Ostdeutschen über ihre Biographien philosophiert, legt der PDS-Bundestagsabgeordnete Rolf Kutzmutz selbstbewußt seine Stasiakte in der Fußgängerzone von Potsdam aus. Doch aus der Bonner Baracke kommen nur immer wieder neue Bannflüche. Für Geschäftsführer Franz Müntefering gilt nach wie vor uneingeschränkt die Dresdener Erklärung, die jede Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS ausschließt. Dabei symbolisiert jenes „zeithistorische Dokument“ (Stolpe) aus dem Bundestagswahlkampf 1994 vor allem die Lebenslüge der SPD. Die Dresdener Erklärung wurde zu einem Zeitpunkt verabschiedet, als in Sachsen-Anhalt die Zusammenarbeit mit der PDS, die sich längst zu einer festen Kooperation entwickelt hat, bereits etabliert war. Magdeburg macht deutlich, daß sich die SPD aus der Rolle des CDU-Juniorpartners im Osten nur dann befreien kann, wenn sie auf die linke Konkurrenz zugeht. Für die Ostdeutschen hat die PDS längst ihren Schrecken verloren. Im Westen hingegen lassen sich damit noch immer antikommunistische Emotionen schüren. Nicht im Osten also birgt eine mögliche Zusammenarbeit mit der PDS für die SPD unkalkulierbare Risiken, sondern im Westen, wo noch das politische Weltbild von vor 1989 die Politik dominiert. Die SPD sitzt in der Falle.

Dennoch ist es nicht allein ein Ost-West-Konflikt, der die Partei lähmt. Ein Riß geht auch quer durch die ostdeutschen Landesverbände. Hier stehen sich Moralisten und Machtpolitiker gegenüber. Ein Machtwort in der aktuellen Debatte hält Oskar Lafontaine aber nicht für nötig. Nach der Koalitionskrise in Mecklenburg-Vorpommern habe sich der SPD-Chef bis zu den Bundestagswahlen im Oktober 1998 Experimente mit der PDS verbeten, so war zu vernehmen.

Danach könnte es jedoch bereits zu spät sein. Bei den Landtagswahlen im Frühjahr 1998 in Sachsen-Anhalt sowie zeitgleich mit den Bundestagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern werden für die politische Landschaft im Osten die Weichen über die Jahrtausendwende hinaus gestellt. Wenn die SPD ihr Verhältnis zur PDS nicht noch vor dem Wahljahr 1998 radikal ändert, wird sie zwischen PDS und CDU zerrieben.

Auf 25 bis 30 Prozent schätzen Meinungsforscher das momentan erreichbare Wählerpotential der PDS. Das Links-rechts-Parteienschema spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. In den neuen Bundesländern stehen sich zwei Politikmodelle gegenüber. Die CDU repräsentiert das in den Osten exportierte westdeutsche Parteien- und Gesellschaftssystem. Die PDS steht für das zunehmende ostdeutsche Selbstbewußtsein und für soziale Kompetenz. Die SPD sitzt genau dazwischen.

Ausgrenzen und ignorieren – beide Strategien gegenüber der PDS sind gescheitert. Jetzt haben die ostdeutschen Sozialdemokraten die soziale Gerechtigkeit als Thema entdeckt. Doch den Kampf gegen die PDS hat die SPD im Osten bereits verloren. Gegen den ABM-Abbau will Manfred Stolpe die Ostdeutschen auf die Straße bringen. Ob er die PDS schon gebeten hat, diese zu mobilisieren? Christoph Seils