Was ist eine Böhnhasenjagd?

■ Wunderbare Quellensammlung aus Hamburgs Vergangenheit erschienen

Das Leben in vergangenen Jahrhunderten in Hamburg war sicherlich nicht nur von schönen Seiten geprägt, aber im Rückblick ist es ungemein spannend zu betrachten. Insbesondere, wenn es einen aus Originalquellen anspricht. Die hat Reinhold Pabel in akribischer Archivarbeit aufgestöbert und ausgewertet und jetzt als Hamburger Kultur-Karussell zwischen Barock und Aufklärung herausgebracht.

Sortiert nach Themen und mit kurzen Kommentaren Übergänge schaffend läßt Pabel die Hansestadt zu einer Zeit am Leser vorbeiziehen, als sich vieles konstituierte, was heute als Tradition virulent ist, aber aus der auch vieles den märchenhaften Geruch der Verwunschenheit angenommen hat. So erfährt man aus verschiedensten Quellen die Ursprünge der Hamburger Demokratie aus Senat und Bürgerschaft, wie es zu der Bezeichnung Pfeffersäcke kam oder wie die traditionellen Straßennamen entstanden sind.

Gleichzeitig begegnet man wunderlichen Berufen (Fischweicher), Steuern (Türkensteuer) und Gepflogenheiten: Etwa der „Böhnhasenjagd“, worunter das Verprügeln von unzünftigen (nicht den Zünften angehörenden) Handwerkern verstanden wurde. Überhaupt ist das wunderbare Sammelsurium ein Wechselbad zwischen komisch erscheinenden Alltäglichkeiten und historischen Ereignissen, aus denen die Geschichte der Stadt und ihr heutiges Selbstverständnis viel transparenter wird.

So wird durch die zwei hier maßgeblichen Jahrhunderte (das 17. und das 18.) das wachsende Selbstbewußtsein einer Stadt der Kaufleute bildlich, die sich nie ernsthaft in ihren Geschäften stören ließ. Das ging bis zur Arroganz, etwa wenn ein Pfeffersack einem Adeligen, der sich über die Prachtentfaltung eines Banketts wunderte, eitel erwiderte: „Sie sind auch nur ein Herzog und ich bin ein Hamburger Kaufmann.“ Dennoch galten, darf man den Quellen glauben, Pomp und Protz in Hamburg – von einigen Ausnahmen abgesehen – schon immer als Untugenden. Und überhaupt findet man in den jahrhunderte alten Quellen viele Charakterisierungen des Hamburgers und der Hamburgerin an sich wieder, die auch heute noch gelten.

Andererseits konfrontieren einen selbst öffentliche Zeugnisse mit einer Grausamkeit, die für Lappalien ungeheure Strafen vorsah. So befahl die Hamburger Admiralität, daß Matrosen, die an Bord eines Hamburger Schiffes im Streit ein Messer zögen, selbst dann, wenn niemand zu Schaden käme, mit diesem Messer durch die Hand an den Mast gedolcht werden sollten. Oder es war jedem überlassen, einen Dieb „braun und blau zu schlagen“.

Schon diese wenigen Ausschnitte zeigen, daß man mit diesem Buch einen Schatz an Informationen – nicht nur über Hamburg, sondern generell über das Leben in Deutschland in diesen Jahrhunderten – in der Hand hält, dessen einziges Manko darin besteht, daß die Quellen gelegentlich zu wenig erläutert werden. Till Briegleb

Hamburger Kultur-Karussell, Wachholtz Verlag, 452 S., 77 Abb., 68 Mark