Der Unsichtbare vom Neugrabener Moor

Gefährdeter Wachtelkönig beschäftigt die EU / Stadt hält an Bebauung fest  ■ Von Vera Stadie

Viele HamburgerInnen kennen ihn nicht, aber er findet weltweit Aufmerksamkeit – der Neugrabener Moorgürtel. Jugendliche aus neun europäischen Ländern und sogar aus den USA und Mexiko sind nach Hamburg gekommen, um im feuchten Biotop in der Süderelbmarsch praktische Naturschutzarbeit zu leisten. Seit dem 15. Juli haben 25 Mitglieder der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste auf den Neugrabener Wiesen geschuftet. Zwei Wochen lang haben die 16- bis 24jährigen gemäht und zwei Gräben ausgehoben und aufgestaut, um das moorige Gelände möglichst feucht zu erhalten.

So mag es auch der Wachtelkönig. Kaum jemand habe den „geheimnisvollen Unsichtbaren“, dessen Heimat der Neugrabener Moorgürtel ist, je gesehen, bestätigt Dr. Uwe Westphal vom Naturschutzbund Deutschland (NABU) – zu hören sei der unscheinbare Wiesenvogel jedoch durchaus. Sieben Männchen hätten in diesem Sommer ihre laute Stimme in der Süderelbmarsch erklingen lassen; sein knarzender „Gesang“ brachte dem Wachtelkönig den lateinischen Namen „Crex crex“ ein. Die Vögel überwintern in Afrika, brüten bevorzugt auf feuchten Wiesen und seien ein „Indikator für einen noch weitgehend intakten Lebensraum“, erläutert Westphal.

Und weil der Moorgürtel in seiner Tier- und Pflanzenvielfalt einzigartig sei, protestiert der NABU gegen den Plan der Stadtentwicklungsbehörde (STEB), in Neugraben-Fischbek ein Neubaugebiet mit 3000 Wohneinheiten für 10.000 Menschen zu errichten, das ins Moor hineinragt. „Im Plangebiet kommen nicht weniger als 44 Tier- und Pflanzenarten vor, die nach der ,Roten Liste' als im Bestand gefährdet gelten“, listet Naturschützer Westphal auf. Und dazu gehört eben nicht zuletzt „eine der bedeutendsten Populationen des sogar weltweit bedrohten Wachtelkönigs in Deutschland“.

Nachdem der Naturschutzbund bei der Europäischen Kommission Beschwerde gegen die geplante Bebauung eingelegt hatte, erhielt die STEB Post aus Brüssel: Die Süderelbmarschen, wo die Großsiedlung geplant sei, so wundert sich die Kommission, sei nach Angaben der Hamburger Umweltbehörde als „ökologisch wertvoll“ bis „herausragend von nationaler Bedeutung“ ausgewiesen und habe nach Auffassung von Wissenschaftlern einen besonderen Wert für den Wachtelkönig. Die EU fragt daher an, wann Hamburg dieses Gebiet unter den Schutz der EU-Vogelschutzrichtlinie stelle, und weshalb dies bisher noch nicht erfolgt sei.

STEB und Umweltbehörde haben daraufhin erstmal ein Gutachten in Auftrag gegeben. Das soll klären, ob A: das Vorkommen des Wachtelkönigs im Vergleich zu anderen Brutplätzen als „national bedeutend“ einzuschätzen sei, und ob B: sich das Bauvorhaben mit diesem Vorkommen vertrage, so STEB-Sprecher Bernd Meyer. Wenn das Gutachten, dessen Endfassung in der kommenden Woche vorliegen soll, Punkt A bejahe und Punkt B verneine, dann trete Fall C – Beteiligung der EU an der Baugenehmigung – ein. Dann, so Meyer zuversichtlich, müsse die STEB in Brüssel eben beweisen, daß „zwingende Gründe des überwiegend öffentlichen Interesses“ für das Bauvorhaben in Neugraben-Fischbek geltend gemacht werden können.