„In der Szene ist es härter geworden“

■ Das erste Jahr Drogenberatung am Bahnhof bringt Ruhe ins Viertel

Die Bauernstraße im Viertel ist Junkie-frei, die Friesenstraße abgesperrt, der Drogenstrich zerschlagen. Lediglich an der Sielwall-Kreuzung stehen, sitzen und liegen Drogenabhängige und Punks, ständig den Augen der Polizei ausgesetzt.

Die Vertreibungspolitik des Bremer Senats hat funktioniert. „Im Prinzip haben die sich durchgesetzt“, sagt Uli Meidt von der Junkie-Selbsthilfegruppe JES. „Die offene Szene im Viertel ist kleiner geworden, obwohl die Zahl der Drogenabhängigen gleich geblieben ist.“ Das Konzept, das dahintersteht, basiert auf Repression gegenüber den Drogen-Prostitutierten, dem offenen Drogengebrauch und dem Handel einerseits – und der Dezentralisierung von Beratungs- und Hilfsangeboten andererseits.

Für die Junkies aus dem Viertel wird die Situation dadurch allerdings immer unerträglicher. „Die Polizei ist viel brutaler geworden. Und auch in der Szene ist es härter geworden“, berichtet ein regelmäßiger Besucher der Drobs, der Drogenberatung im Tivolihaus am Bahnhof. Sabine Frieden-Paland, Leiterin der städtischen Einrichtung, bestätigt das. „Es hat eine Verelendung in der offenen Szene stattgefunden. Wer heute noch am Sielwall steht, hat meist nichts. Immer mehr unserer BesucherInnen sind obdachlos, und die Gewalt auf der Straße hat zugenommen.“

Ein Grund für diese Entwicklung liegt in der Auslagerung oder Schließung sämtlicher Beratungs- und Anlaufstellen im Viertel. Während früher ein Nachtcafé für die Prostituierten geöffnet war, sind die Frauen jetzt ohne Fluchtpunkte. Weil sie aus Angst vor weiteren Repressalien meist nicht zur Polizei gehen, sind sie jetzt häufiger der Gewalt von Freiern ausgesetzt. „Viele Übergriffe werden aus Angst nicht mehr angezeigt“, sagen Sozialarbeiterinnen.

Die Drobs bietet den Junkies wohl Möglichkeiten zu essen, zu duschen, Wäsche zu waschen. Zum Service gehört auch medizinische Hilfe – aber vielen Abhängigen ist der tägliche Weg aus dem Viertel bis zum Bahnhof zu weit. „Vor zehn Jahren hieß die politische Strategie noch, mit den Einrichtungen in die Brennpunkte hineinzugehen. Heute will man soziale Randgruppen nicht mehr sehen“, faßt Sabine Frieden-Paland zusammen.

Die Geschäftsleute im Ostertor und im Steintor, die in den letzten Jahren mit Aktionen und Protesten „den Gehweg zurückerobern wollten“, sehen dagegen Erfolge. „Es ist wieder netter geworden. Die Baustelle ist weg, die Junkies sind weg. Es ist einfach ruhiger“, beschreibt Michael Thun, Angestellter beim Brillenladen Preiß am Oster torsteinweg, die neue Situation. Dieter Büsing, Inhaber des Reisebüros am Körnerwall, sieht das allerdings anders: „Es gibt wohl weniger Junkies, aber für die, die noch hier sind, ist es schlimmer geworden. Allein letzte Woche habe ich zweimal den Notarzt gerufen.“

Die Drogenszene hat sich grundlegend verändert. Während die Drogenkranken aus dem Viertel vertrieben werden, entstehen an anderen Orten neue Brennpunkte. Vor allem um den Bahnhof herum boomt ein neuer Absatzmarkt für Dealer. Kokain wird dort in erster Linie gehandelt. Aber auch für die Drogenberatung gibt es völlig neue Problem- und Arbeitsfelder: Streetworking wird zum zentralen Bestandteil der Arbeit, um den Kontakt zu den Betroffenen überhaupt aufrechterhalten zu können. Denn mit der Kriminalisierung der offenen Szene und den Methadonprogrammen allein ist es nicht getan. „Die Politik hat verkannt, daß neue und junge Abhängige nachkommen“, bemängelt Frieden-Paland. Daraus entstehen komplizierte Fragestellungen: Einerseits wird die Szene immer jünger, andererseits denkt man in den Beratungsstellen darüber nach, wie für die Alt-Junkies Plätze im Altersheim zu finden wären – der älteste der regelmäßigen Drobs-Besucher ist 64 Jahre alt. „Daß ein Junkie überhaupt so alt wird, hätte vor zehn Jahren niemand erwartet“, sagt Frieden-Paland. Bei allen Bedenken fällt ihre Bilanz über das erste Jahr Drogenberatung am Bahnhof nicht schlecht aus: „60-70 Prozent der Leute aus der Bauernstraße kommen auch heute noch zu uns.“ Neu sei vor allem, daß jetzt auch Abhängige Rat in der Drobs suchen, die vorher das Umfeld der offenen Szene am Sielwall gescheut haben. sg