Zwischen den Rillen
: Aus dem Hinterland

■ Sons of Krautrock: Ui und Pluramon mögen Stockhausen und Zweitbässe

Wenn der Postrock zweimal klingelt, werden inzwischen die Scheckbücher gezückt. Innerhalb weniger Monate ist ein Genre entstanden, dessen Charakteristika immer griffiger werden und deshalb immer leichter zu vermitteln und schließlich zu vermarkten sind. Noch teilen sich etliche Independent-Labels das „postrock hinterland“, wie es der englische Musikjournalist Simon Reynolds nannte, untereinander auf. Aber die großen Firmen beginnen langsam Lizenzen einzuholen und werden sich nicht mehr lange nur damit begnügen, Compilations herauszubringen.

So unterschiedlich die Musik von Bands wie Tortoise, Stereolab, Labradford oder Laika ist – um mal ein paar in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchende Namen zu nennen –, steckt in den jeweiligen Besonderheiten eine für alle gültige Abkehr von den für Rockmusik typischen Sounds und Images. Alle haben wenig Interesse an Schweiß und Stagediving, und niemand von denen kann sich vorstellen, sein Herz mittels eines Gitarrensolos auszuschütten. Es regiert der Zweifel an den Phänomenen, die in vierzig Jahren Rock hervorgebracht wurden.

Musikalisch steht dabei zuerst die Dekonstruktion des Songs auf der Liste. Er ist wie die Kleinfamilie im Kapitalismus die Keimzelle für manches Übel. Die Hierarchien zwischen Refrain und Strophe, zwischen SängerIn und Band zum Beispiel, die Repression freier musikalischer Entwicklung durch Konventionen, der Identifizierungszwang durch Texte und Melodien.

Postrock zeichnet sich, wenn er diese Klischees übernimmt, durch einen ironischen Gestus aus. Lieber umgeht er aber die Form. Deshalb wird wenig gesungen, und die Musik zeichnet sich durch sich wiederholende Muster aus, in denen sich auch mal eine improvisierte Etüde Platz schaffen kann. Gerne werden ungewöhnliche Instrumente benutzt, und auch Drummaschinen und Sampler sind willkommen. Das schafft Anschlüsse an Musik von Steve Reich und Phil Glass und an aktuelle Entwicklungen in der Technomusik. Inzwischen gibt es da eine Grauzone, in der die Remixe sprießen.

Daß das alles so neu ja nicht sei, wird mancheR einwenden. Und in der Tat bietet die Rockgeschichte immer wieder auftauchende Phasen, in denen ähnliche Punkte auf der Tagesordnung standen. Aber Postrock tut nicht so, als wüßte er davon nichts. Im Gegenteil, die Verweise auf Can, Faust, Krautrock insgesamt und die 80er- Jahre-Szene um das US-Label SST mit Bands wie Universal Congress Of oder Tar Babies sind galore.

An die Tar Babies erinnern die wenigen schnelleren Stücke von Ui. Das Trio aus New York hat die obligatorische Gitarre innerhalb der klassischen Rockbesetzung (git, b, dr) gegen das Instrument mit den vier dicken Saiten eingetauscht. (Überhaupt geht im Postrock-Hinterland der Trend zum Zweitbass.) Daraus resultiert ein Gesamtsound, dessen Frequenzbereich recht eingeschränkt ist. Das gibt den wenigen Elementen aber genügend Raum, um sich in das Bewußtsein der HörerInnen zu schieben und sich von ihm wieder zu verabschieden. Im Grunde sieht es so aus: Schlagzeug spielt locker und ohne Sperenzien, erster Bass spielt ein bis zwei Kunstfiguren pro Stück, zweiter Bass macht Gegenläufiges in höheren Lagen.

Das klingt einfach. Sasha Frere-Jones, Wilbo Wright und Clem Waldmann lassen diese grundsätzliche Klarheit auch nicht eintrüben durch den sporadischen Einsatz von Banjo, Violine, Gitarre, Gesang, Sampler oder Dubeffekten. Jedes dieser Elemente taucht aber in einer so artifiziellen Fassung auf, daß man es weniger als Adaption vergangener oder gerade kursierender Musiken verstehen kann. Sondern als Hinweis auf die Übermacht unterschiedlicher Traditionen und Trends, derer man sich nur noch durch diese Art Stilisierung erwehren kann.

Traditionen werden auf unterschiedlichen Ebenen auch durch Pluramon vermittelt – schon bevor man den ersten Ton der Platte gehört hat. Der Titel dieses Projektes – die/der Allgemeingebildete wird es wissen – wurde von Stockhausen als Bezeichnung eines Teils seines Werkes „Hymnen“ gewählt. Als ob dieser Verweis nicht schon heavy genug wäre, hat der in Köln lebende Marcus Schmuckler, der hinter Pluramon steckt, noch den ehemaligen Can-Drummer Jakie Liebezeit gebeten, sich ans Schlagzeug zu setzen. Das ist nicht nur Huldigung eines legendären Musikers, sondern auch Ausdruck des Willens, auf eine lokale Avantgardetradition hinzuweisen. Denn Schmickler gehört auch zum Umfeld des Plattenladens „a-Musik“, der derzeit als Brennpunkt Kölner Musikkultur gilt. Zwangsläufig tauchen in den Credits dieser Platte weitere einschlägige Namen aus dieser Szene auf.

Weitaus offensiver als Ui geht Pluramon die Synthese an. Digitale und analoge Klangfelder, ovaleskes CD-Klackern und Gitarrenfeedback überlagern sich zum Beispiel im Stück „Skala“. Feedback auch am Beginn des elfminütigen „Planet“, bevor sich ein recht packender Rhythmus in den Vordergrund schiebt, selten erklingt dann noch eine simple, von der Gitarre übernommene Tonfolge, im Hintergrund beginnt das Quietschen einer ungeölten Schaukel, während die Drums etwas swingender werden, die Dröhngitarre bricht ab, um darauf verhaltener wieder einzusetzen und sich zum kurzzeitigen Hauptakteur des Stückes zu machen ... (fade out) ... Martin Pesch

Ui: „Sidelong“ (Southern/Efa)

Pluramon: „Pick Up Canyon“ (Mille Plateaux/Efa)