: Die aus dem Stein kamen
Die Kroaten in der Westherzegowina sind harte und eigenwillige Menschen. Nationalistische Ideen fallen hier auf fruchtbaren Boden ■ Aus Mostar Erich Rathfelder
Die kroatischen Bewohner der Herzegowina in Bosnien haben einen eigenen Ruf. Gefürchtet sind sie als politischer Faktor. Ihnen gelang es, sich an dem zurückliegenden Krieg zu bereichern. Es gibt wohl dieser Tage im ehemaligen Jugoslawien nirgends so viele brandneue Edelkarossen schwäbischer Bauart wie in der Westherzegowina. Viele der mehrstöckigen und protzigen Einfamilienhäuser wurden erst kürzlich gebaut. In den Bars und Cafés sitzen kurzgeschorene Männer, die mit dem Geld nur um sich werfen. Hier wird mit gestohlenen Autos und Waffen gedealt. Hier werden Geschäfte gemacht. Hier wird die Politik beeinflußt. Von hier aus zogen sie zweimal in den Krieg, um die herzegowinische Hauptstadt Mostar zu erobern. Um sie zur Hauptstadt ihres kroatischen Staates in Bosnien, Herceg-Bosna, zu machen. Und als dies nicht gelang, zögerten sie nicht, Teile der Stadt in Schutt und Asche zu legen. Auf bestenfalls 15.000 Quadratkilometern leben hier, westlich Mostars, nicht mehr als 200.000 Menschen. Durch harte Arbeit wurde seit altersher der karge, steinige Boden urbar gemacht. Wein, Obst, Schafe und Ziegen bilden noch immer die Lebensgrundlage dieser tiefkatholischen und ehemals armen Bauernbevölkerung. Städte wie Citluk, Grude, Ljubuski, Siroki Brijeg und Pošušje sind mit gerade 15.000 Bewohnern Provinznester, die normalerweise niemand beachten würde.
Sie kommen aus dem Stein, heißt es in Kroatien. Und damit ist gemeint, daß der Landstrich arbeitsame, harte und eigenwillige Menschen hervorgebracht hat. Die Kroaten der Westherzegowina sind in Kroatien unbeliebt. Wenn in den kroatischen Städten Zagreb oder Split die Rede auf die Westherzegowiner kommt, gibt es sicherlich niemanden, der nicht einen neuen Witz zu erzählen weiß. Das ihnen zugeschriebene laute Auftreten, die neureichen, herrschaftlichen Attitüden, das vor sich hergetragene Selbstbewußtsein, „die besten aller Kroaten“ zu sein, hat die Westherzegowiner in Kroatien geradezu verhaßt gemacht.
Mit Sorge sieht die kroatische Bevölkerung, wie diese selbsternannte Elite aus den Bergen immer mehr einflußreiche Stellungen erlangt. Das fängt am Kopf an: mit Gojko Susak, dem Verteidigungsminister, ist der zweite Mann im kroatischen Staat ein Westherzegowiner. Seit er 1991 an die Macht kam, macht das Wort von der „Westherzegowiner Mafia“ die Runde: Seither beherrschen Westherzegowiner Verwaltungen und Ministerien, sind in Schlüsselpositionen der Wirtschaft aufgerückt, stellen selbst Bürgermeister in großen Städten wie in Split und sind in der Armee hervorragend vertreten. „Wenn einmal einer Fuß gefaßt hat, zieht er einen ganzen Clan nach“, ist eine der oft geäußerten Meinungen. Die Westherzegowiner hätten den Waffenschmuggel in der Hand und bereicherten sich schamlos am Volkseigentum, klagen viele Leute.
Oppositionspolitiker und Intellektuelle sehen im Aufstieg der Westherzegowiner sogar die Hauptgefahr für die Entwicklung der Demokratie in Kroatien. Die antidemokratischen, mafiosen, radikal nationalistischen und totalitären Denkweisen aus der Westherzegowina zielten auf die völlige Usurpation des Staates, klagen sie. Und sie erinnern an den aus der Region stammenden Ante Pavelić, den von Mussolini und Hitler eingesetzten Diktator in Kroatien während des Zweiten Weltkriegs. Der stützte sich nämlich auf die Ustascha (Aufständische), die Bewegung der rechtsradikalen, klerikalfaschistischen, kroatischen Extremisten, die in der Westherzegowina ihre stärkste Basis hatte. Da Präsident Franjo Tudjman 1990 vor allem mit Hilfe der Exilkroaten an die Macht gekommen ist, bei denen die Westherzegowiner den Ton angeben, sei er zum Gefangenen der nationalistischen Radikalen aus der Westherzegowina geworden, kritisieren sie.
Ein großes U für Ustascha ist auf einen Felsen an der Straße von Split nach Ljubuski in der Westherzegowina gemalt. In der Tat markiert dieses U eine Grenze. Während die Kroaten Dalmatiens im Zweiten Weltkrieg als kommunistische Partisanen gegen die deutschen und italienischen Besatzer kämpften, identifizierte sich damals eine Mehrheit der Bevölkerung in der Westherzegowina mit dem kroatischen Staat von Mussolini und Hitlers Gnaden. Für die Westherzegowiner waren Kroaten, die mit den Partisanen sympathisierten, schlicht und einfach Verräter.
Die Westherzegowiner sind geschichtsbewußt. Über Jahrhunderte durch das Osmanische Reich regiert, mußten die katholischen Bewohner des kargen Landes vielerlei Unterdrückung erfahren. Denn sie lebten im Grenzland des Reichs, zum Westen hin, dort wo Venedig oder die Habsburger herrschten, zu denen die kroatische Küste damals abwechselnd gehörte. Anders als die serbisch-orthodoxe Bevölkerung, die dem osmanischen Staat als Wehrbauern in der weiter westlich gelegenen bosnischen Krajina dienten, blieb die katholische Bevölkerung der Westherzegowina aufmüpfig. Immer wieder leisteten sie Widerstand, wurden ihre Dörfer und Städte von den Türken zerstört. Sogar das Recht der ersten Nacht soll noch im 19. Jahrhundert durch die türkischen Statthalter praktiziert worden sein.
Die Unterdrückung machte die Westherzegowina zur Wiege des radikalen kroatischen Nationalismus. Als das Königreich der Slowenen, Kroaten und Serben nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde, erlosch dieser Wunsch nicht. Als der König 1928 das Parlament auflöste und Jugoslawien in einen zentralistischen Staat mit serbischer Dominanz umwandelte, hatte die serbische Herrschaft in den Augen der Westherzegowiner Nationalisten die türkische Herrschaft ersetzt.
Von nun an gab es nur Kampf. Unschuldige mußten büßen. Die Exzesse der Ustascha gegenüber der serbischen Bevölkerung in Westbosnien und in Kroatien war zwar auch eine Reaktion auf die vorher erfahrene Unterdrückung. In ihrer Gnadenlosigkeit weckten sie jedoch Abscheu und Widerstand in Kroatien selbst. Die Kirche rückte von Ante Pavelić ab, Demokraten und Kommunisten gingen in den Untergrund. Der Kroate und Oberkommandierende der Partisanen, Josip Broz, genannt Tito, ließ nach dem Zweiten Weltkrieg blutige Rache nehmen. In Bleiburg wurden 1945 über 150.000 Soldaten der kroatischen Armee, der Polizei und der Verwaltung, die mit den deutschen Truppen nach Österreich abgerückt waren und von der britischen Armee an Tito überstellt wurden, hingemetzelt.
Die Westherzegowiner Bevölkerung wurde in der Folgezeit kollektiv bestraft. Der Wiederaufbau und die Investitionen des kommunistischen Staates wurden um die Westherzegowina herumgelenkt. Ende der fünfziger Jahre zählte die Westherzegowina zu den ärmsten Regionen Jugoslawiens. Viele Männer gingen in die Emigration nach Kanada, Australien oder die USA. Als Deutschland ab 1960 um Gastarbeiter warb, erreichte der Exodus seinen Höhepunkt. Es gab fast keine Familie ohne ein Mitglied im Ausland. Die kroatischen Exilgruppen waren fortan von Westherzegowinern dominiert.
Die Zeichen aus Belgrad wurden in Duvno, einer Kleinstadt der Westherzegowina, am ehesten verstanden. Als Serbiens Präsident Slobodan Milošević Ende der achtziger Jahre auf den serbischen Nationalismus setzte, erklärten einige der politischen Führer der Westherzegowina und des Exils, daß es zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien kommen müsse. Sie begannen Waffen einzuschmuggeln, Exilkroaten stellten im Untergrund kroatische Einheiten auf. Duvno wurde 1991 in Tomislavgrad umbenannt, nach dem kroatischen König des frühen Mittelalters, unter dem Kroatien frei und groß wie niemals später mehr gewesen war. Als in Zagreb und in Kroatien noch niemand an einen Krieg glaubte, wurden hier die Weichen für den kroatischen Widerstand gestellt. Junge Männer aus der Westherzegowina meldeten sich freiwillig zur Verteidigung Vukovars und Dubrovniks. Neue Truppen wurden ausgehoben. Niemand hier glaubte, daß der Krieg nur ein schneller Spuk sein werde.
Der Kampf um den Kuprespaß, die wichtigste Verbindung Zentralbosniens zur Küste, begann im März 1992. Die jugoslawische Volksarmee hatte von Mostar aus Artillerie auf den Paß gebracht. Von hier aus wurden Duvno und die Nachbarstadt Livno beschossen und Split bedroht.
Im April 1992 besetzte die Jugoslawische Volksarmee die Schlüsselstellungen in Mostar. Die kroatischen und muslimischen Soldaten dieser Armee begannen zu desertieren und sich den Truppen des Kroatischen Verteidigungsrats (HVO) oder den Truppen der „Partei des Rechts“, HOS, anzuschließen. Unter einem gemeinsamen Oberkommando gingen sie daran, Mostar von den serbischen Einheiten zurückzuerobern. Und es gelang im Juni 1992 nach heftigen Kämpfen, Mostar sowie das Tal der Neretva von den nunmehr serbischen Truppen zu befreien. Der größte Teil der serbischen Bevölkerung floh ins serbisch besetzte Ostbosnien.
Muslime und Kroaten hatten Seite an Seite gekämpft. Doch bald zeigten sich Risse im Bündnis der beiden Bevölkerungsgruppen. Denn im kroatischen Lager war ein heftiger Kampf um die Vorherrschaft entbrannt. Und dieser Kampf sollte blutige Konsequenzen auch im Verhältnis zu den Muslimen haben.
Dobrislav Paraga war zu dieser Zeit noch unbestrittener Führer der „Partei des Rechts“, einer als rechtsradikal eingestuften Partei in Kroatien. Im Hauptquartier der Partei des ehemaligen Menschenrechtlers und Dissidenten hing im Sommer 1991 eine Landkarte. Und auf ihr waren die Grenzen Großkroatiens eingezeichnet. Großkroatien umschloß dabei nicht nur die Republik Kroatien, sondern auch Bosnien-Herzegowina. Die natürliche Grenze zwischen dem orthodoxen Osten und dem katholischen Westen sei die Drina, erklärte er damals. Für Paraga und seine Mitstreiter waren die Muslime Bosniens Bündnispartner gegen die serbische Aggression. Für Paraga war es nicht wichtig, daß die Muslime eine andere Religion hatten. Er verfolgte lediglich nationale Ziele. Bosnien sollte entweder nach Kroatien integriert oder aber in einer Föderation mit Kroatien verbunden werden.
Und mit dieser Theorie stieß er auf den heftigen Widerstand eines mächtigen Gegners. Der kroatische Präsident Franjo Tudjman und seine Partei, die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) verfolgten andere Ziele. Angelehnt an die katholische Kirche und im Einklang mit den politischen Zielen eines Teils des Exils nahm diese Fraktion einen antimuslimischen Standpunkt ein. Dies entsprach auch den Interessen eines großen Teils der westherzegowinischen Führungsschicht. Aus ihrer Tradition heraus war das Bündnis mit den Muslimen unnatürlich. Sie verfolgten den Anschluß der Westherzegowina an Kroatien. Sie wollten die klein-großkroatische Lösung, das heißt die Teilung Bosnien-Herzegowinas.
Die Westherzegowiner repräsentieren jedoch nur einen Teil der bosnischen Kroaten. Von achthunderttausend bosnischen Kroaten in Bosnien-Herzegowina lebten sechshunderttausend in Zentralbosnien und dem Posavina-Korridor. Sie fühlten sich mehr als Bosnier denn als Kroaten. So hatte die Theorie von Paraga nach Beginn des Kriegs großen Erfolg in Zentralbosnien. Die HOS wurde dort zur stärksten Kroatenmiliz.
In Fortsetzung dieses Artikels erscheint in der kommenden Woche eine zweite Folge über Mostar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen