■ Wenn die Linke jetzt sozial-ökologische Kriterien fordert, verhindert sie die europäische Währungsunion und Einigung
: Ohne Euro kein soziales Europa

Am vergangenen Donnerstag haben die EU-Finanzminister über den Haushalt 1997 der Union beraten. Was auch immer bei einer solchen Konferenz herauskommt, eines ist durch die Verträge von vornherein ausgeschlossen: Schuldenaufnahme. Die Gesamtausgaben des europäischen öffentlichen Haushaltes dürfen die Summe der Eigeneinnahmen (Zölle, Agrarabgaben und Beiträge der Mitgliedstaaten) nicht überschreiten. Darum wird unser finnischer Haushaltskommissar Liikanen von jeder/m nationalen FinanzministerIn beneidet.

Diese Stabilität öffentlicher Finanzen scheint sich nun auf die Mitgliedstaaten auszudehnen. Das liegt aber nur vordergründig an der bevorstehenden Europäischen Währungsunion (EWU) und ihren Stabilitätskriterien, deren Einhaltung so viele Probleme bereitet. Die EWU ist lediglich Ausdruck des politischen Versuchs, der Globalisierung der Märkte einen Rahmen zu geben.

Die Kriterien für die Teilnahme an der EWU sind entgegen Elmar Altvaters Annahmen durchaus nicht unerfüllbar. Sie sind allerdings hart genug, um auch eine harte Währung zu erzeugen. Sie sind kein Selbstzweck, sondern sollen als Indikatoren für die Konvergenz der Wirtschaftssysteme der Teilnehmerstaaten dienen. Mit ihnen wäre die deutsch-deutsche Währungsunion 1990 gar nicht erst zustande gekommen; insofern läßt sich dieses ökonomische Desaster auch nicht mit der EWU gleichsetzen. Soziale und ökologische Kriterien sollten eine wichtige Rolle in der Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik innerhalb der neuen Währungsunion spielen. Aber sie dürfen keine Grundbedingung für ihr Zustandekommen sein. Wer das verlangt, will die Währungsunion tatsächlich erst am Ende der langen Entwicklung hin zu einer europäischen politischen Union – oder will sie überhaupt nicht.

Wahrscheinlich wird die Einführung des Euro nicht ohne Schwierigkeiten ablaufen. Möglicherweise werden die Märkte durch Spekulation die neue Währung gleich zu Beginn harten Belastungsproben unterziehen. Doch das Zustandekommen der EWU ist die eigentliche Chance, nicht nur zur Absicherung der Westintegration gegen die deutschen „Nationalreaktionäre“ (Schmierer) und nicht nur als „Befreiungsschlag“ (Altvater) der SüdeuropäerInnen gegen das Diktat der Bundesbank. Die Chance des Euro liegt gerade in seiner Wirkung für die Schaffung eines sozialen Europas, das ein Teil der linken Maastricht-Gegner immer wieder als Conditio sine qua non ins Feld führt.

So sollte es die Kritiker nachdenklich stimmen, daß beispielsweise die deutschen Gewerkschaften, die ansonsten nicht eben zu den engsten Verbündeten dieser Bundesregierung gezählt werden, sich stark und beharrlich für die Währungsunion einsetzen und gleichzeitig keinen Zweifel daran lassen, daß die Verwirklichung des sozialen Europa ihr Ziel ist und bleibt. Auch der britische Gewerkschaftsbund hat jüngst an die Labour Party appelliert, bloß nicht die Option zur Teilnahme Großbritanniens durch vorschnelle Festlegungen zu verspielen. DGB und TUC die „fünfte Kolonne“ (F. O. Wolf) antisozialer Politik einer fremden Macht?

Das wesentliche Motiv für die pragmatische Einstellung der Gewerkschaften ist: Die EWU kann – auf indirekte Weise und teils entgegen den ursprünglichen Motiven ihrer Erfinder – mehr und schneller etwas zu einem „sozialen Europa der BürgerInnen“ beitragen, als alle direkten Versuche und theoretischen Beschwörungen es zuvor vermochten. Dazu ist allerdings, das soll nicht verschwiegen werden, die Beseitigung einiger Hindernisse erforderlich, die bislang die Einführung und Entwicklung einer europäischen Sozialpolitik beeinträchtigt und gelähmt haben.

Wer die Voraussetzungen für ein soziales Europa verbessern möchte, sollte nicht die Währungsunion bekämpfen, sondern die Daumen drücken für einen Labour-Sieg in Großbritannien, damit die europäische Sozialcharta endlich gemeinsame Grundlage aller EU-Staaten wird. Wer europäische Programme gegen Armut und sozialen Ausschluß will, muß dafür arbeiten, daß die Kohl-Regierung spätestens 1998 abgelöst wird, denn sie blockiert im Rat seit Jahren Neuerungen in der europäischen Sozialpolitik.

Mit einem plötzlichen Durchbruch zu größerer sozialer Verantwortung etwa in der Beschäftigungspolitik ist derzeit allerdings nicht zu rechnen. Die – unbestritten vordringliche – Integration der Länder Mittel- und Osteuropas und die Mittelmeerpolitik werden die finanziellen Ressourcen des EU-Haushaltes für die nächsten 15 Jahre weitgehend binden.

Was bleibt, ist die alltägliche Politik der kleinen Schritte hin auf ein soziales Europa. Die Währungsunion kann die Länge dieser Schritte vergrößern und ihren Takt beschleunigen. Schon der Binnenmarkt hat den diesbezüglichen Druck auf die Staaten als europäische Akteure erhöht. Die Währungsunion wird die Notwendigkeit zu gemeinschaftlichen Rahmensetzungen und Mindeststandards in den Bereichen Sozialvorschriften und soziale Sicherheitssysteme, Arbeits- und Gesellschaftsrecht sowie Ausbildungssysteme noch einmal verstärken.

Auch die Tarifparteien werden europäische Strategien entwickeln müssen, weil Verhandlungen in den Tarifbezirken Deutschland oder Frankreich ohne Informationsaustausch und Absprachen auf europäischer Ebene nicht mehr auskommen werden. All dies schafft eine Dynamik, die zur schrittweisen Verwirklichung des sozialen Europa führt.

Die Fragen der zukünftigen Finanzierung sozialer Sicherungssysteme dagegen, die das Sparpaket der Bundesregierung auf falsche und sozial unausgewogene Weise zu beantworten versucht hat, können auch in Zukunft nicht nach Brüssel delegiert werden: weder von Nettozahler Waigel noch von von der Linken. Brüssel bewirkt weder Sozialabbau in Deutschland noch in den übrigen Staaten. Ihre sozialpolitischen Argumente sollten die deutschen Linken deshalb in erster Linie an Bonn adressieren. Edith Müller