Das Militär hat die Entscheidung getroffen

■ Angelika Beer, MdB, über ihren Besuch in der Türkei nach dem Ende des Hungerstreiks

taz: Sie haben nach dem Ende des Hungerstreiks ein Gespräch mit dem türkischen Justizminister Sevket Kazan geführt. Kazan erklärt neuerdings, der Staat habe keine Schwäche gezeigt. Die staatliche Autorität sei nicht angetastet. Kann das zutreffen?

Angelika Beer: Nach der jüngsten Erklärung von Justizminister Kazan gibt es Vermutungen, daß die Vereinbarung über das Ende des Hungerstreiks nur zwischen Persönlichkeiten wie Yasar Kemal und Führern der Gefangenen ausgehandelt worden ist, nicht aber mit der Regierung. Ich glaube, Kazan selbst hat keine Entscheidung getroffen. Er hat mir gegenüber bestätigt, daß er erst nach Absprache mit dem nationalen Sicherheitsrat, sprich mit den Militärs, Verfügungen erlassen hat. Ich hatte den Antrag gestellt, daß Gefängnis Bayrampasa in Istanbul zu besuchen, um mit Überlebenden des Todesfastens zu sprechen. Er sagte, dies sei unmöglich. Das Gefängnis sei voller Terroristen. Solange der Staat die Gefängnisse nicht im Griff habe, könne man Besucher nicht einlassen.

Eine der Hauptforderungen der Hungerstreikenden war die Räumung des Gefängnisses Eskisehir. Diese Forderung wird nun erfüllt. Der Justizminister hatte immer wieder betont, daß Eskisehir am ehesten europäischen Standards, nämlich den Hochsicherheitstrakten, entspreche. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?

Der Justizminister zeigte völliges Unverständnis darüber, daß die Gefangenen aus dem Gefängnis, welches westlichen Maßstäben entspricht, verlegt werden wollen. Es sei doch fast wie im Hotel, wenn jede Zelle eine eigene Toilette und ein Badezimmer habe. Man hat mir freundlicherweise auch die Pläne des Sicherheitstraktes in Eskisehir überreicht.

Sie haben die inhaftierten kurdischen Abgeordneten im Gefängnis Ankara besucht. Glauben die Abgeordnete Leyla Zana und ihre Freunde an eine Verbesserung der Situation, an eine Humanisierung des Strafvollzuges?

Die jetzigen Kompromisse stellen ihrer Ansicht nach keine Lösung dar. Es gibt ständig Razzien in den Zellen. Der Staat präsentiert nach solchen Razzien angebliche Waffen, die in den Zellen gefunden worden seien. Einer der Abgeordneten hat mit einem Holzstock eine Maus getötet. Der Stock ist dabei zerbrochen. Dieser zerbrochene Stock wurde dann der Öffentlichkeit als Waffe präsentiert. Es ist absurd. Die kurdischen Abgeordneten sagten, daß die Gefängnisse immer voller würden. Was haben die kurdischen Abgeordneten zur Haltung der Europäer gesagt?

Sie kritisierten die Europäer, und das zu Recht. Die Europäer hätten sich einwickeln lassen. Europa habe der Zollunion mit der Türkei unter sehr vagen türkischen Versprechungen zugestimmt. Die Europäer hätten zwar die Änderung des Anti-Terror-Gesetzes verlangt. Aber die politischen Gefangenen, die den Hungerstreik durchführten, seien alle nach dem Anti-Terror-Gesetz in Haft oder verurteilt. Auf der anderen Seite hätten die Europäer sich erst um die Gefangenen gekümmert, als es Tote gab. Das findet in der Türkei kein Verständnis.

Interview: Ömer Erzeren