Neonazis melden an und sagen ab

Über hundert Demonstrationen sind für kommendes Wochenende angemeldet. Vorbereitung für „Rudolf-Heß-Gedenktag“. Konzert rechter Skinbands in Unterfranken wird verboten  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) – Über hundert Demonstrationen und Kundgebungen haben Neonazis im ganzen Bundesgebiet teilweise zeitgleich und mit den gleichen Rednern für das Wochenende angemeldet. Ob in Berlin, Mölln, Nürnberg, Bamberg, Bielefeld oder anderswo, zumeist firmieren Funktionäre der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) als Anmelder.

Verfassungsschützer sprechen von einem „gezielten Verwirrspiel zur Beschäftigung der Behörden“, nehmen aber die Anmeldungen „sehr ernst“. In vielen Städten wurden die Aufzüge inzwischen verboten, in Berlin mit der Begründung, die Nazis hätten einen „polizeilichen Notstand“ hervorrufen wollen. Der niedersächsische Verfassungsschutzpräsident Rolf Peter Minnier glaubt, daß die Neonazis die Polizeikonzentration für die Chaos-Tage in Hannover nutzen wollen, „um sich an anderen Orten unbehelligt darzustellen“.

Minnier schließt aus den Anmeldungen, daß sich die nach offiziellen Zahlen nur 150 Mitglieder starke Jugendorganisation der NPD zu „einem bedeutenden Sammelbecken für Neonazis aus verbotenen Organisationen“ entwickelt. Eine späte Erkenntnis. Fungierte doch die JN insbesondere nach dem Verbot der „Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands“ (FAP) und der „Wiking Jugend“ als deren Auffangbecken. Zuletzt war es den „Jungen Nationaldemokraten“ bei ihrem Aufmarsch am 1. Mai in Berlin-Marzahn gelungen, mit Thomas Wulff und Oliver Schweigert führende Neonazis unter dem Slogan „Gegen System und Kapital – Unser Kampf ist national“ zu vereinen. Spektakuläre Aktionen wie die Eierwürfe auf Gorbatschow und Stoiber bei den Bayreuther Festspielen 1993 sowie die Störung des Schlesier-Treffens 1994 in Nürnberg brachten der JN innerhalb der rechtsextremistischen Szene viel Anerkennung ein.

Minniers These, die JN wolle die Chaos-Tage nutzen, teilt man beim Brandenburger Verfassungsschutz nicht. Dort reiht man die Aktivitäten in die diesjährigen Gedenktage an den 1987 im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis gestorbenen Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß ein, der von der Szene als „Märtyrer für den Frieden“ verehrt wird. Dafür mobilisiert die Szene bundesweit zwar nach Schweden, doch werden auch dezentrale Aktionen in Deutschland angekündigt.

Mit ihren vielen Anmeldungen wolle man wohl „die Behörden verwirren“, glaubt man in Brandenburg und fühlt sich dadurch bestätigt, daß schon am Dienstag die JN einige angemeldete und bereits mit Auflagen genehmigte Kundgebungen etwa im unterfränkischen Schweinfurt von sich aus abgesagt hat.

Ebenfalls abgesagt ist ein Konzert in Haßfurt mit den neonazistischen Skinhead-Gruppen „Ultima Thule“, „Midgards Söner“ sowie den „Panzerknackern“ und den „Chaoskriegern“. Das Konzert unter dem Motto „Deutsch-schwedischer Volkstanz“ sollte auf einem städtischen Grundstück stattfinden und wurde von einem Strohmann als „Hardrock-Konzert“ angemeldet. Die Stadt Haßfurt zog die Genehmigung zurück, nachdem der wahre Hintergrund der Veranstaltung bekannt wurde.