Zumutbare Arbeit oder weniger Geld

■ Deutschlands neues Sozialhilfegesetz trat gestern in Kraft

Auch in Deutschland wird das Recht auf ein menschenwürdiges Leben ausgehöhlt. Gestern ist die von Gesundheitsminister Seehofer erdachte Neuordnung der Sozialhilfe in Kraft getreten. Danach müssen Sozialämter die Stütze um 25 Prozent kürzen, wenn ein Sozialhilfeempfänger die ihm angebotene „zumutbare“ Arbeit ablehnt. Weitergehende Kürzungen der Sozialhilfe bleiben wie bisher den Sozialämtern überlassen. Die monatliche Sozialhilfe beträgt in Westdeutschland seit Juli rund 530 Mark. Darüber hinaus trägt das Sozialamt die Kosten für Miete und Heizkosten.

Welche Arbeit „zumutbar“ ist, wird vom Gesetz nicht näher definiert und liegt im Ermessen der zuständigen Sachbearbeiter auf den Ämtern. In der Regel fallen darunter auch Jobs, die unterhalb der Qualifikation des Sozialhilfeempfängers liegen. Alleinerziehende und Schwerbehinderte werden von den Kürzungen ausgenommen.

Rückwirkend zum 1. Juli erhalten Sozialhilfeempfänger darüber hinaus ein Prozent mehr Stütze – das macht 5,30 Mark mehr pro Monat. In den nächsten Jahren errechnet sich die jährliche Erhöhung der Sozialhilfe nicht mehr nach dem tatsächlichen Bedarf einer Person und den gestiegenen Lebenshaltungskosten, sondern wird an die Entwicklung der Nettolöhne in Westdeutschland gekoppelt.

Zugleich soll die Arbeitsaufnahme für Sozialhilfeempfänger attraktiver werden. Finden sie Arbeit, so kann ihnen das Sozialamt sechs Monate lang einen monatlichen Zuschuß bis zur Höhe ihrer Sozialhilfe gewähren. Der Lohn wird ihnen nicht auf diesen Zuschuß angerechnet. Auch Arbeitgeber, die Sozialhilfeempfänger einstellen, sollen dafür künftig mit Zuschüssen belohnt werden – von diesem Zuschuß können auch Leiharbeitsfirmen profitieren.

Rückständige Mieten werden seit gestern von den Sozialämtern bezahlt, wenn ansonsten Obdachlosigkeit droht. Außerdem haben auch minderjährige Mädchen, die noch bei ihren Eltern leben und schwanger sind, einen eigenständigen Anspruch auf Sozialhilfe. Anders als bisher wird dabei das Einkommen der Eltern nicht mehr angerechnet.

Sozialhilfeempfänger, die älter als 65 Jahre oder erwerbsunfähig sind, erhielten bisher einen Mehrbedarfszuschlag von 20 Prozent des Regelsatzes. Dieser wird ihnen jetzt nur noch gewährt, wenn sie eine anerkannte Gehbehinderung haben. Um Mißbrauch zu vermeiden, ist es den Sozialämtern ausdrücklich erlaubt, Daten mit anderen Behörden, etwa den Kfz-Zulassungsstellen, abzugleichen. Petra Specht