Ohne Aidid wird Somalia nicht stabiler

Im Land ohne Regierung ist zwar ein schönes Leben durchaus möglich – aber viele Somalis wünschen sich angesichts der Unsicherheit trotzdem einen Staat. Wie der zustande kommen soll, bleibt ein Rätsel  ■ Von Bettina Gaus

„Wir sind jetzt praktisch in derselben Situation wie vor dem Sturz von Siad Barre“, hatte schon vor einigen Wochen Abdullahi Mohamoud Omer ahnungsvoll gesagt. „Alle sind in in dem Wunsch vereint, Aidid zu beseitigen – und es gibt keinerlei Pläne für die Zeit danach.“ Der aus dem Norden Somalias stammende ältere Herr war einst Minister unter dem 1991 nach jahrelangem Bürgerkrieg gestürzten Diktator Barre, später dessen Gegner, und er gehört heute zu den respektierten Persönlichkeiten, die fast alle Regionen des Landes bereisen können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.

Davon gibt es in Somalia einige in jedem Clan. Um eine nationale Verständigung oder gar Versöhnung herbeizuführen, reicht jedoch auch ihr Einfluß nicht weit genug. Die Gräben sind tief.

Die Bevölkerung ist kriegsmüde. „Wir brauchen endlich eine Regierung und Verwaltung“, sagt Zeynab Ahmed in der kleinen Ortschaft Sinojiif im Nordosten Somalias. Die junge Frau ist eine von vielen Somalis, für die Mogadischu unendlich weit entfernt zu sein scheint und die die Machtkämpfe der Kriegsfürsten ganz einfach leid sind. Sie betreibt an der Hauptstraße, die von der Hafenstadt Bosaso in den Süden Somalias führt, eine Gaststätte. Die Passagiere der privaten Sammeltaxis, die hier den öffentlichen Nahverkehr ersetzen, und die Lastwagenfahrer essen bei ihr Reis mit Ziegenfleisch und trinken Limonade oder Cola – eisgekühlt.

Generator und Kühlschrank kommen aus Dubai. Auch die bunten Plastikstühle und die Erfrischungsgetränke in Zeynab Ahmeds Restaurant stammen aus den Vereinigten Aarabischen Emiraten. Die Geschäftsfrau verdient aber auch am Außenhandel: mit dem Export von Ziegen und Kamelen. Es geht der Familie wirtschaftlich nicht schlecht. Steuern werden in Somalia, einem Staat ohne Regierung, von ihr nicht verlangt. Die Gaststätte läuft gut, und von Kämpfen ist die Region weitgehend verschont geblieben.

Warum will Zeynab Ahmed dann eigentlich eine Regierung? Es geht doch offenbar in dieser Gegend ganz gut. In der Kleinstadt Gardo zeugen buntbemalte und verzierte Türen an neugebauten Häusern von Aufschwung und bescheidenem Wohlstand. In Bosaso werden derzeit gleich vier neue mehrstöckige Hotels errichtet. Die bereits bestehenden Gästehäuser sind fast immer ausgebucht. In Bosasos Hafen liegen etwa dreißig Frachtschiffe mit Getränken, Zucker, Mehl, Benzin, Wellblech, Zement, neuen Fahrzeugen, Eisen und Holz an Bord. Die meisten kommen aus Dubai, Dschibuti und Saudi-Arabien und nehmen Vieh als Ladung mit nach Hause.

Viele der Aufgaben, die andernorts der Staat wahrnimmt, haben in Somalia inzwischen einfallsreiche Geschäftsleute übernommen. In Bosaso gibt es täglich von 18 Uhr bis etwa um Mitternacht Strom. Der frühere Direktor und heutige Besitzer des Elektrizitätswerks verschickt Rechnungen auf denselben Formularen wie vor dem Bürgerkrieg, pünktlich und zuverlässig. Der Verbrauch wird auch weiter vom Zähler abgelesen.

Von fünf öffentlichen Telefonzellen aus steht für drei Dollar die Minute Bosaso im Kontakt mit der ganzen Welt. Ismail Abdi Ahmed betreibt ein aus den USA importiertes kommerzielles Satellitensystem. 280 Wohnungen, Büros und Häuser in der Stadt verfügen über eigene Anschlüsse – eine hohe Zahl im afrikanischen Vergleich. Dem 35jährigen Geschäftsmann aus reichem Elternhaus gehört auch eine Fluggesellschaft. Täglich wird Dschibuti angeflogen, Dubai dreimal die Woche.

Bosaso war vor dem Bürgerkrieg eine ärmliche, abgelegene Stadt mit rund 20.000 Einwohnern in karger Gegend. Vom Krieg hat es wirtschaftlich profitiert. In die relativ stabile Region zog es Angehörige aller Clans und Schichten aus dem ganzen Land. „Vor vier Jahren wurden Häuser hier noch auf sehr rückständige Weise gebaut“, erzählt Ismail Abdi Ahmed. „Jetzt haben Leute, die aus Mogadischu hierhergekommen sind, die Zivilisation mitgebracht. Es wird anders gebaut, und man findet viele Dinge in Bosaso, die es früher nicht gab – Videogeschäfte, Süßigkeiten, Straßencafés.“

Im Straßenbild fallen allerdings nicht in erster Linie derlei Attraktionen auf, sondern die sichtbaren Zeichen von Krieg, Vertreibung und Not. Zehntausende hausen in kümmerlich zusammengebastelten Hütten aus Pappe, alten Säcken und Wellblechresten. Vor den Kämpfen in anderen Teilen des Landes sind eben nicht nur Wohlhabende hierher geflohen.

Und soziale Aufgaben des Staates hat die somalische Geschäftswelt nicht übernommen. Niemand sorgt für billige Unterkünfte, sauberes Wasser ist knapp, die meisten Schulen sind geschlossen, die medizinische Versorgung ist unzureichend. „Und vor allem gibt es hier niemanden, der Recht und Ordnung durchsetzt“, erklärt Zeynab Ahmed in Sinojiif. „Wir sind völlig ungeschützt. Jeder Bandit kann uns bedrohen. Das muß anders werden. Da zahle ich lieber Steuern.“

Recht und Ordnung: Die Sehnsucht danach kommt vielen Somalis als erstes über die Lippen, wenn sie über die Verhältnisse in ihrem Land klagen. Aber von dem Aufbau einer Zentralregierung war das Land bisher ebenso weit entfernt wie zu Zeiten der großen Hungersnot 1992, als die USA glaubten, mit der Entsendung von Truppen hier Probleme lösen zu können, und wie in den folgenden Jahren, als die UNO mit Blauhelmsoldaten vergeblich nach einem Weg zum Frieden suchte.

Die letzten UNO-Soldaten haben das Land Anfang 1995 verlassen. Seither hat sich die Gesamtlage kaum geändert, weder zum Besseren noch zum Schlechteren. General Farah Aidids Tod wird da auch nicht viel bewegen. Viele derjenigen, die sich 1993 in die Solidarität mit ihm gezwungen fühlten, als die USA Aidid als Kriegsverbrecher suchten, haben längst die Seite gewechselt. Sogar in seiner Hochburg, dem Süden Mogadischus, hatte der Kriegsfürst bedeutende strategische Positionen wie das Gelände der Universität und die ehemalige US-Botschaft schon vor Monaten verloren.

In der südlichen Hafenstadt Kismayo herrscht Siad Barres Schwiegersohn General Morgan. Aidids Verbündeter in der Region, Omar Jess, spielt praktisch keine Rolle mehr. Aus Belet Huen, Aidids Geburtsort und ehemaliger Stationierungsort der deutschen Bundeswehr, war Aidid längst vertrieben worden, ebenso wie aus der Hafenstadt Merca. Auch im Nordosten, wo einst einflußreiche Milizenchefs mit dem General sympathisiert hatten, haben schon lange seine Gegner die Oberhand gewonnen – kampflos, auf diplomatischem Wege.

Der Tod des Kriegsfürsten wird Somalias Probleme nicht lösen. Das Ausland hat sich in den vergangenen Jahren vor allem auf die Lage in Mogadischu konzentriert. So ist in internationalen Medien der Eindruck entstanden, in Somalia finde vor allem ein Machtkampf in Mogadischu innerhalb des Clans der Hawiye zwischen Farah Aidid und seinem alten Erzrivalen Ali Mahdi statt, der den Norden der Hauptstadt kontrolliert. Im Lande selbst wird die Situation von vielen ganz anders beurteilt.

„Ein Hawiye kann niemals Präsident werden, egal ob Ali Mahdi oder Farah Aidid“, sagt Ali Samantar Guhad, früher hochrangiger Staatsdiener, heute als Übersetzer für eine ausländische Hilfsorganisation tätig. Er gehört wie der gestürzte Präsident Siad Barre zum Clan der Darod, und er behauptet: „Wir haben da eine Übereinkunft zwischen den Clans. Der Hauptclan ist einfach der der Darod, und der stellt eben den Präsidenten.“

Diese Überzeugung ist in Somalia gewiß nicht unumstritten. Aber unumstritten ist ohnehin fast nichts. Weder auf den Ort noch auf die Runde der Teilnehmer, noch auf die Tagesordnung einer möglichen Friedenskonferenz haben sich die verschiedenen Fraktionen des Landes bisher einigen können. Der Tod Aidids mag einen Kompromiß erleichtern. Gefunden werden muß er dennoch erst noch.

Im Streit könnte jedoch auch eine Chance für die Zukunft liegen. Da an die Bildung einer nationalen Regierung derzeit nicht zu denken ist, werden – ausgehend von einem noch unter UNO- Schirmherrschaft erarbeiteten Plan – derzeit lokale Verwaltungen aufgebaut. Damit wird eine von vielen somalischen Intellektuellen für wünschenswert gehaltene regionale Autonomie gestärkt.

In Bosaso ist nach monatelangen Verhandlungen kürzlich eine zivile Regionalregierung unter Beteiligung aller Clans gebildet worden. Die regionale Miliz, die bisher alle Einnahmen des Hafens für sich reklamiert hat, soll nun nur noch 28 Prozent erhalten. Den Rest der monatlich durchschnittlich 100.000 Dollar teilen sich drei somalische Regionen. Sollte das Modell funktionieren, dann käme Geld für soziale Aufgaben in die öffentlichen Kassen.

Ohne Starthilfe des Auslands allerdings räumt kaum jemand der neuen Autorität eine Chance ein. Und die Hilfsbereitschaft des Auslands ist nach dem gescheiterten UNO-Einsatz in Somalia dramatisch gesunken. Aidid machte allerdings den Organisationen, die noch helfen wollten, ständig Schwierigkeiten: Er verlangte immer wieder Steuern, Visa und die Anerkennung seiner Person als Präsident, bevor er Ausländer in „seinen“ Gebieten arbeiten lassen wollte. „Der Mann hat immer gedacht, er braucht die Welt nicht“, sagt jetzt ein somalischer Intellektueller, der ihn gut gekannt hat. „Jetzt ist er qualvoll gestorben, weil seine medizinische Versorgung katastrophal unzureichend war.“