■ In Hannover soll die Polizei gegen das „Punker-Chaos“ antreten. Die Wiederaufführung eines Dramas als Operette
: Generationenkonflikt ade

In den neuen Bundesländern wird dieses Jahr nur für jeden siebten Schulabgänger eine Lehrstelle angeboten. Niedersachsen streicht 1.000 Stellen an Hochschulen und investiert dieser Tage pro erwarteten Punk 10.000 Mark zur Abwehr eines vermeintlichen Chaos. Jugendarbeitslosigkeit wird epidemisch, aber anders als in den 70er Jahren wird sie kein öffentliches Thema. Gewalt ist in, bei den so geilen wie bigotten Medien sowieso und häufiger auch bei Jugendlichen. Dieses Szenario wird derzeit in Hannover zu einer sozialen Skulptur verdichtet, an der Joseph Beuys, der diesen Begriff prägte, seine Freude gehabt hätte.

Hubschrauberstaffeln, Tausende von Polizisten und Hundertschaften des BGS, insgesamt mehr als 6.000 Ordnungskräfte stehen bereit, etwas zu verhindern, das vermutlich eingebildet ist: das Chaos, das Punks am Wochenende in Hannover anrichten könnten. Wichtig ist den Regisseuren, dem neuen Polizeipräsidenten Klosa und dem alten Innenminister Glogowski, vor allem eines: Bloß keine schlechte Presse! Nur nicht den Eindruck entstehen lassen, daß sie nicht Herr der Lage sind! Das ist der typische Habitus der Generation, die derzeit den Ton angibt. Sie hat Angst. Weniger vor den Punks als vor dem Knick in der Karriere. Sie blufft Kompetenz.

Die Punkszene ist, wenn die Jugendforschung recht hat, eine überwiegend friedliche. Punks provozieren vor allem durch Nichtstun. Am Rand der Fußgängerzonen demonstrieren sie Untätigkeit. Sie treiben ihre Späße mit gehetzten und ihrerseits hetzenden Normalos. Punks wissen, wie man die Generation ihrer zumeist kleinbürgerlichen Eltern reizt, die immerzu auf Ziele aus ist, diese aber selten erreicht oder gleich weiter zum nächsten Ziel jagt. Gegen diese Welt, deren Parole das „Weg! Weg!“ ist, in der es kaum gelingt, biographische Wege zu kultivieren, setzen Punks ihren Abschied von der sozialen Biographie. Sie wollen nichts mehr werden. Bestätigung holen sie sich aus der alltäglichen Provokation. Darin sind sie allerdings oft so selbstgerecht wie ihre Eltern. An ihr zerschlissenes Outfit, an ihre Bierdosen und Hunde, mit denen sie am Rande der Einkaufszonen lagern, hat sich ein Teil der Passanten gewöhnt. Ein anderer Teil springt gierig auf das Feindbild an. Endlich läßt sich die vakante Planstelle Feind mit so richtig häßlichen Darstellern besetzen. Und die Erwachsenen fragen sich, wie es sich für Paranoiker gehört: Was steckt dahinter? Mangels Kontakt mit den Punks geben sie sich selbst die Antwort: das Chaos. Mit sicherem Gespür für die Phantasien von Ordnungsfanatikern verstehen es die Punks, diese Angst weiter zu schüren.

Nun dürfen wir allerdings von Politikern erwarten, daß sie diese Spirale nicht noch weitertreiben und nicht in die Falle eines kruden Entweder-Oder von Chaos und Ordnung tappen, sondern souverän auf eine gute Mischung setzen. Damit ließe sich gewiß nicht ausschließen, daß alkoholisierte Jugendliche aus der Punkszene tatsächlich und tatkräftig am Wochenende provozieren und daß sich möglicherweise jene rechten Horden nach Hannover aufmachen, die derzeit auf ostdeutschen Campingplätzen auf ein Objekt ihrer Randale aus sind. Die Polizei müßte sich darauf vorbereiten, solche Herde frühzeitig zu löschen. Aber verbieten läßt sich Feuer nicht. Außerdem müssen sich Politiker, die diesen Namen verdienen, etwas anderes einfallen lassen, als ihre Polizei wie Kammerjäger zum Reinhalten der Stadt einzusetzen.

In Ermangelung eines Generationenkonflikts, aus dem sich kollektive Visionen und politische Themen herauskristallisieren könnten, werden in Hannover Attitüden dieses Dramas wie eine Operette nachgespielt. Warum ist der Generationenkonflikt so erloschen? Das Jugendideal, das ihn früher antrieb, haben die imagebildenden Industrien okkupiert. Jugendliche werden ihres idealisierten Selbstbildes enteignet. Als Endverbraucher dürfen sie Jugendlichkeit zurückkaufen. Ewige Jugend ist eine merkwürdig virtuelle Realität geworden. Rebellische Jugendliche grenzen sich mit einer Ästhetik der Häßlichkeit gegen die Mehrheit der frisch geduschten Jugenddarsteller ab. In einer Gesellschaft der individuellen Karrieren und Lebensstile hat der Generationenkonflikt seine bewußtseins- und stilbildende Kraft verloren. Moden, Trends und die Großinszenierungen der Spaßkultur sind an seine Stelle getreten.

Protagonisten des klassischen Generationenkonflikts kämpften gegen starke Väter. Aber der paranoisch-ödipale Komplex, in dem die Jungen ihre Identität an harten Vätern schärften, ist aufgeweicht. Er war auf kollektive Leit- und Feindbilder angewiesen. So gesehen ist sein Verschwinden kein Verlust, dem man nachtrauern müßte. Auch die emphatische Subjektivität von Fortschritt, das ganze „Jetzt kommen wir!“- und „Geschichte wird gemacht!“-Tamtam und all die anderen Bahn-frei-Ideologien gehörten zum klassischen Generationenkonflikt. Sein Verschwinden hat allerdings für all die Jugendlichen, denen es nicht gelingt, ihr Leben selbst zu erfinden und die nicht über Karriere als Prothese verfügen, ein Vakuum hinterlassen. Wie Landsknechte einer aufgelösten Armee vagabundieren diejenigen durch die Lande, die früher als Soldaten für große historische Aufführungen gebraucht wurden. Nun werden sie gleich in mehrfacher Hinsicht arbeitslos, als Lohnarbeiter und als Streiter für die neue Zeit.

„Geil auf Gewalt“, das ist die Ultima irratio der an den Rand gedrängten Subkulturen. „Geil auf Gewalt“ war bisher nicht so sehr die Parole der Punks, sondern eher die der Skins und der Hooligans. Das könnte sich demnächst ändern, vielleicht schon in Hannover, vielleicht anderswo, vielleicht erst später. Die Politik in Hannover, die Gewalt vermeiden will, spricht tatsächlich nur diese eine stumme Sprache: die der Gewalt. Davon kündet der Einsatz von 6.000 Polizisten und die „Apocalypse Now“- Szenerie mit donnernden Hubschraubern. Dieser Politik kann man nichts anderes wünschen, als daß sie nicht ernst genommen wird. Aber die Poly-tik, die wir brauchen, werden die Punks auch nicht erfinden. Reinhard Kahl