Der taz-Sommerroman: „Dumm gelaufen“ – Teil 19

Es brauchte nicht einmal einen Kuß vom Veddel, um zu einer Gestalt in einem Märchen zu werden, zu einem Es war-einmal ein Veddel, der, wo Hamburg der Elbe am nächsten ist, an der Övelgönne, ein altes abgetakeltes Zelt auf dem Strand stehen hatte. Da obdachte Veddel. Er hieß nicht nur Veddel. Er sah wie ein Veddel aus. Und tatsächlich, er war ein Veddel. Er hatte eine sehr dünne Haut, die von Windmühlen und vom Wetter wund und an manchen Stellen schon Papier geworden war. Denn Veddel war ein Wohnungssuchender, der jahrelang auf den Straßen unterwegs war und dabei die gefährlichsten Abenteuer unter Brücken erlebt hatte. Auch in den Parks, im Pik-As und in den Pissoirs. Er kannte alle Wohnungs- und Sozialhilfestellen von Hamburg bis Freiburg, er war in allen Labyrinthen der Behörden auf den weiten Fluren gewesen, und sein Kopf war vollgepackt mit all den Formularen, Absagen und Ausreden redlicher Beamter, die immer wieder von ei- nem Morgen-wird-sich-die-Lage-schon-bessern sprachen, während sie Veddel mit freundlichen Grüßen in die nächste Gosse warfen.

Veddel wurde immer mehr ein Mann von trauriger Gestalt, bis er eines Tages eine fremde Wohnung in der Stadt Hamburg betrat. Viele Möbel waren der Wohnung gegeben, doch teurer als das Inventar waren ihm die dreiundsiebzig Quadratmeter, die ihm mehr als die Zukunft versprachen. Aber wenig Hoffnung hatte Veddel, ihren Schlüssel endgültig zu erlangen, und er wünschte sich eine Aufgabe zu lösen, zum Beispiel einen Drachen töten, um von ihren Wänden endgültig Besitz zu ergreifen. Plötzlich griff Veddel an die Tapeten. Seine Beine spreizten auseinander. Hinter seinem kurzen Schatten an der Wand tauchte ein großer Schatten auf und ab. Er hatte kein Gesicht. Keinen Namen. Keine Stimme. Nur eine Hand, die seinen Schwanz und seinen Arsch und so leider befingerte. Sie haben das Recht die Aussage zu verweigern. Kommissar Brook ging ganz auf Amt vor. Wer sind Sie? Bill Brook, Kommissar Brook! Ich dachte, Sie sind tot! Tot? Es hat auf Ihrem Grabstein gestanden! Das war meine Frau Blond! Veddel stellte vor Angst einen Strahl in seiner Jeans ab.

Generation X.

Eine Stadt sucht ihre Kinder

Politik der Brauns: Dürfen Nordseekrabben Kebab essen!? Für Rassentrennung unter Früchten an den Obstständen! Und eine denkt gegen an!

Auf dem Boden welkte das allgemeine Laub der Geschichte: ungelesene Zeitungen von 1933-45! Sie hatten viele, viele Bilder von der Wahrheit! Mit Hitler! Himmler! Rommel! Und ohne Jud! Darum gab es die auch nicht! Und sonst hatten die Brauns alles, alles was zur Begleitung von Hobbys nötig war. Es war ein Teil im Bunker: Bunker mußte sein. Wegen England aus der Luft. Weizen, eine siebzehnjährige Glatze, Kopf im Strohdenken und auch sonst der Kopf der Brauns, punkte und schlagerte mit seiner Band Hitparaden in diesem Auffanglager der politisch Verfolgten. In der Ecke rapten die Fantastischen Vier: Da seh ich Titten, Titten, ich seh so viele Titten! in den Boxen eines Ghettoblusters. Titten: Das war Deutsch. Das war Mann. Das war Deutschmann. Nur nach Titten war den Brauns nicht. Es gab Gründe. Gründe aus Presse, Funk und Fernsehen. Weizen versuchte Gedanken zu haben. Sein Mund schluckte schwer am Pils aus der Dose. Hamburg suchte die Brauns! Keine Dose Bier ging von Mund zu Mund. Die Sonys, Blaupunkts und Panasonics, die Beute eines Tages, fühlte sich in der Mitte der Brauns vernachlässigt. Sie behielten Recht. Sie waren heute nicht einmal einen Blick, geschweige denn einen Blauen auf dem Schwarzmarkt wert. Aber sie würden sich an den Brauns rächen. Mit einem Kurzschluß im System. Das machen Kabel immer. Nicht immer. Aber immer dann, wenn die Aufmerksamkeit der Brauns zu wünschen übrig blieb.

(Fortsetzung folgt)

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