Quo vadis Erich Priebke?

■ Internationales Recht sieht "Weitergabe" an Deutschland nicht vor

Rom (taz) – Nach dem Entsetzen über den Freispruch Erich Priebkes herrscht in Italien Ratlosigkeit, wie man mit dem 83jährigen ehemaligen SS-Offizier weiter verfahren soll und kann. Das römische Revisionsgericht verwandelte die von Justizminister Gianni Maria Flick verfügten 96 Stunden vorläufigen Arrest am Samstag in eine 40tägige Auslieferungshaft. Innerhalb dieser Frist soll die Staatsanwaltschaft Dortmund, die bereits voriges Jahr einen internationalen Haftbefehl wegen verschiedener mutmaßlicher Kriegsverbrechen Priebkes erlassen hat, ihre Beweise und die Rechtsgrundlage ihrer Anklage darlegen. Doch selbst bei einer Anerkennung der Anklage ist unsicher, ob Italien Priebke überhaupt irgendwohin ausliefern darf.

„Wir stehen einem feinen Geflecht gesetzlicher Bestimmungen gegenüber, die mit großer Umsicht abgewogen und interpretiert werden müssen“, meinte am Wochenende der ehemalige italienische Justizminister Giovanni Conso. Fraglich ist vor allem, ob Priebke an ein deutsches Gericht ausgeliefert werden kann, wenn er dort anderer Delikte angeklagt wird als jener, weswegen ihn Argentinien im November 1995 an Italien übestellt hatte. Das internationale Recht und bilaterale Auslieferungsabkommen verbieten derlei. Grund dafür ist der Argwohn, daß durch solche Weitergaben auch Länder Zugriff bekämen, mit denen das Auslieferungsland aus guten Gründen kein Auslieferungsabkommen pflegt. Zudem soll durch die Gesetze verhindert werden, daß sich ein Land einen Häftling wegen einer vergleichsweise „milden“ Anklage verschafft, ihn danach aber ganz anderer Delikte anklagt – etwa politischer Straftaten.

Derzeit suchen Italiens Rechtsgelehrte nach Passagen, die doch eine Überstellung nach Deutschland ermöglichen könnten. Aber selbst ein erneutes Ansuchen an die argentinischen Behörden wegen weiterer Delikte Priebkes hilft nicht weiter – es würde mehr als ein Jahr vergehen, bis es alle Instanzen der südamerikanischen Behörden passiert hat.

So müßte Italien Priebke eigentlich spätestens in fünf Wochen freilassen, auch wenn der Staatsanwalt Revision gegen das Urteil eingelegt hat. Damit aber wäre bei Priebkes bis heute erkennbaren guten Beziehungen zu Ausschleusungszirkeln eine erhebliche Fluchtgefahr gegeben. Die einzige bisher als gangbar eingeschätzte Möglichkeit wäre eine Ausweisung. Die müßte zwar, nach einem solchen Prozeß, eigentlich in jenes Land gehen, das den Mann ausgeliefert hatte. Doch Argentinien will Priebke nicht zurückhaben.

Damit erhebt sich die Frage, wer das Land auswählt, in das Priebke abgeschoben wird. Er selbst oder die italienische Regierung? Da es einen internationalen Haftbefehl Deutschlands gibt, könnte die Polizei sofort jenseits der Grenzen zugreifen. Der Alptraum der Strafverfolger ist jedoch, daß etwa Libyens Staatschef Oberst Muammar al-Gaddafi dem SS-Mann Unterschlupf anbieten könnte. Dann „bliebe der Regierung nur die Möglichkeit, das Transportmittel zu bestimmen, mit dem Priebke ausreist“, hat ein Beamter des Innenministeriums herausgefunden. So könne verhindert werden, daß Priebke sich mit einem Schiff in Richtung Nordafrika aus dem Staub macht.

Unterdessen sorgt Priebke mit Interviews für Aufsehen. Reportern von La Repubblica sagte er, im Zusammenhang mit der ihm nachgewiesenen Beteiligung an einem Massaker an 335 Geiseln 1944 bei Rom gebe es für ihn „nichts neu zu bedenken“. La Stampa sagte er, die Demonstrationen im Gerichtssaal nach seinem Freispruch seien von einer „Minderheit“ inszeniert worden. Juden trieben mit ihm „ein böses Spiel“. Werner Raith