Muschelkot sichert das Watt

Urlaubers Ärger, des Küstenschützers Freude: der schwarze Schlick im Wattenmeer. Er festigt den Wattboden und schützt das Land vor Sturmfluten  ■ Von Claudia Ulfert

Kilometerweit haben in diesem Sommer Ölklumpen die Nordseeküsten verklebt. Im Wattenmeer zwischen der ostfriesischen Inselkette und dem Festland dehnen sich schwarze Schlickflächen aus. Wattwürmer, Muscheln und Krebse sterben aufgrund von Sauerstoffmangel. Die Besorgnis um Flora und Fauna des hochsensiblen Wattenmeeres nimmt zu. Doch eines wird fast vergessen: Auch der Mensch ist direkt betroffen. Ein gesundes Wattenmeer ist die Voraussetzung dafür, daß die täglich zweimal wiederkehrenden Fluten das über Jahrhunderte errungene Land nicht fortreißen können.

Kippt das Wattenmeer um, könnte den Küstenbewohnern das Wasser bis zum Halse steigen. „Wir hängen sehr von der Gesundheit des Watts ab. Wenn großflächig Lebewesen absterben, wirkt sich das massiv auf die Festigkeit des Wattbodens aus. Stürme und Stromumlagerungen könnten dann viel stärkere Abbrüche und Erosionen an der Küste bewirken“, sagt Wolf-Dietmar Starke vom Amt für Insel- und Küstenschutz (StAIK) im niedersächsischen Norden.

Für die Bildung von Schlick sind die unscheinbaren Wattlebewesen unentbehrlich. Jede Miesmuschel filtert pro Stunde zwei bis drei Liter Wasser. An ihrer Eintrittsöffnung sammelt sie gröbere Bestandteile und spuckt diese klümpchenweise wieder aus. Die feinen organischen und anorganischen Sinkstoffe gehen durch ihren Verdauungsgang und werden in Form von Kotpillen wieder ausgeschieden. Da diese wesentlich schwerer sind als die Schwebstoffe, lagern sie sich auf dem Boden ab. Täglich produziert jede Miesmuschel auf diese Weise etwa drei Gramm Schlick. Die Schalentiere leben in riesigen Kolonien am Rande der Wattenpriele. Außer den Miesmuscheln tragen auch viele andere Pflanzen und Tiere des Watts zur Festigung des Bodens bei und unterstützen so den Küstenschutz.

„Gott schuf das Meer, der Friese das Land“, sagt man in Friesland. Doch seit den sechziger Jahren geht es kaum mehr darum, Neuland zu gewinnen. Vielmehr muß die bestehende Küstenlinie geschützt werden. Eine Sisyphusarbeit, denn was gerade an einem Küstenabschnitt gesichert wird, reißt das Meer wenige Kilometer weiter wieder fort. „Hauptverursacher von Küstenschäden sind nicht die großen Sturmfluten, sondern die zahlreichen leicht erhöhten Fluten, die unaufhörlich an dem Deichvorland nagen und es aushöhlen“, sagt Manfred Pree, Außenstellenleiter der Amtes für Insel- und Küstenschutz im ostfriesischen Neuharlingersiel gegenüber von Langeoog.

Die Küstenschützer haben deshalb flächendeckend Lahnungen angelegt. Diese wellenbrechenden Dämme aus Stein, Beton oder Holz unterstützen die natürliche Ablagerung von Schlick. Wo Lahnungen den Wellengang beruhigen, können sich die von der Flut mitgeführten Sedimente, die bis zu 100 Milligramm pro Liter betragen, während der Ruhephase zwischen Ebbe und Flut absetzen. Millimeter um Millimeter wächst die Schlickschicht, ein Prozeß, der Anlandung genannt wird. Queller und Schlickgras beginnen sich anzusiedeln. Aus dem Wattboden wird allmählich eine Salzwiese.

Etwa 170 Kilometer Lahnungen ziehen sich entlang den Ostfriesischen Inseln und der Festlandküste. Die etwa siebzig Zentimeter aus dem Watt ragenden Buschlahnungen werden längs und quer zum Deich oder Deichvorland in den Schlick gesetzt. Sie bestehen aus zwei Meter langen Fichtenpfählen, die in Doppelreihen in den Wattboden gerammt werden. In den dreißig Zentimeter breiten Raum zwischen den Pfahlreihen kommt eng gepacktes Buschwerk, das mit Drähten niedergehalten wird. Buschlahnungen, so eine Studie über die Festigkeit von Deichvorland, dämpfen den Seegang sogar dann noch bis zur Hälfte, wenn sie bereits 80 Zentimeter hoch mit Wasser bedeckt sind.

Küstenschutz kostet Geld. 20 Millionen Mark von Bund und Land verbauen die Insel- und Küstenschützer des StAIK jährlich an den ostfriesischen Festland- und Inselküsten. Naturschutzverbände halten die kostenintensive Instandsetzung der Buschlahnungen für überflüssig und wehren sich gegen schwere Lahnungen aus Betonfertigteilen. Sie ziehen Lahnungen aus Schüttsteinen vor, die den staatlichen Küstenschützern wiederum zu teuer sind. Die Naturschutzverbände sehen in den Niederlanden einen Vorreiter. Die Küstennachbarn unterhalten ihre Lahnungen nicht mehr. Zudem sollten nach Ansicht der Naturschützer die Sommerdeiche geöffnet werden, damit die Landflächen vor den Hauptdeichen überflutet werden und so neue Salzwiesen entstehen.

Wolf-Dietmar Starke aber warnt davor: „Die Holländer haben ihre Deiche wesentlich höher und stabiler gebaut, so daß sie allein schon Schutz bieten. Vielerorts gibt es bei den Niederländern auch bis zu drei Kilometer Vorland, weit mehr als bei uns in Ostfriesland. Da kann man es sich natürlich erlauben, Lahnungen nicht zu unterhalten.“