Modell Hannover?

■ Der Einsatz gegen Punks beschädigte Grundrechte

Die Chaos-Tage 1996 in Hannover fanden mangels Punks nicht statt. Es gab keine Gewalttätigkeiten, dafür wurden unzählige Jugendliche in Hannover, auf Bahnhöfen und Straßen, Opfer eines polizeilichen Großeinsatzes. Die Ordnungskräfte unterbanden nicht nur den Aufenthalt jeder ihnen verdächtig erscheinenden Person in Hannover, sondern auch jede Reise in diese Richtung. So sonnten sich in Hannover statt der Punks 6.000 Polizisten auf Staatskosten. Die politisch Verantwortlichen gingen auf Nummer Sicher und setzten auf eine Demonstration polizeilicher Übermacht.

So etwas hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Die Chaos-Tage wurden als Versammlung eingestuft, ein großflächiges Verbot (Hannover plus Landkreis) wurde ausgesprochen und mittels blauer Bescheide ergänzt, die Jugendlichen den Aufenthalt in Hannover untersagten. Neben diese Platzverweise trat in besonderen Fällen als Mittel des Drucks der sogenannte Unterbindungsgewahrsam. Dabei hat es Fehlentscheidungen gegeben. Doch nicht diese sind das eigentliche Problem des polizeilichen Großeinsatzes, sondern die Rechtsbeugung durch die „Hüter des Gesetzes“.

Rechtlich steht außer Zweifel, daß weder Haarfarbe noch Kleidung ein Grund sein darf, in das Grundrecht auf Freizügigkeit einzugreifen. Das Verwaltungsgericht Hannover hat dies ausdrücklich festgestellt. Doch in Wirklichkeit haben sich die Beamten von Polizei und Bundesgrenzschutz nicht daran halten können. So hat die polizeiliche Stärkedemonstration eine Vielzahl von Rechtsbrüchen vor Ort eingeschlossen. Denn die Begründung der Platzverweise markierte eine Verletzung von Grundrechten: „Punkähnliches Aussehen“ oder „Zugehörigkeit zur Punkszene“. Die Polizei hat damit gerechnet, daß Punks solche Verwaltungsakte nicht anfechten werden. Sofern Betroffene Widerspruch einlegten, wurde dem stattgegeben.

Fazit: Die Polizei hat, auf Kosten der Menschenrechte, den Auftrag erfüllt, der ihr von der Politik gestellt worden war. So wurde bei diesen Chaos-Tagen ein Instrument ausprobiert, das auch bei politischen Großdemonstrationen Grundrechte in ihrer Substanz zu verletzen vermag. Jürgen Seifert

Der Autor ist Jurist und Politologe und gehört der „Beobachtergruppe Chaos-Tage“ an.