„Da kommt der Verrückte“

■ Ein ganzes Leben in Grün-Weiß: Hans Sodke ist Werders abgedrehtester Fußballfan

Der Mann redet ohne Punkt und Komma. Der Mann hibbelt auf seinem grün-weißen Sofa in seiner grün-weißen Dachbodenbutze, die grün-weißen – nein, Quatsch – wasserblauen Augen leuchten, und er zieht eine grün-weiße Mappe nach der nächsten aus dem Regal, schlägt sie auf, und da sind sie, seine Helden: Kiwi und Otto und Mario und all die anderen. Zeitungsschnipsel, Fotos – Der Mann ist in seinem Element. Hans Sodke ist der wohl abgedrehteste Werder-Fan unter der Sonne. 49 Jahre ist der Lokführer von den Stahlwerken nun alt, seit 37 Jahren ist er Fan, seit mehr als 18 Jahren Besessener, der alles, aber auch alles sammelt, was den SV Werder betrifft – und noch viel mehr. Hans Sodke, ein Leben in Grün-Weiß.

„Also, damals, 1988, in Moskau. Als es so nebelig war. Wir hatten verloren, und dann der Rückflug...“ Wieder so eine Geschichte, eigentlich die Geschichte eines der größten Werder-Triumphe, als die Mannschaft hernach die Europapokal-Niederlage in Moskau noch im Weserstadion hatte umbiegen können. Eine Sensation, das Wunder von der Weser. Kann man stunden-, ach was, tagelang drüber reden. Aber Hans Sodke ist ein Meister der nicht zu Ende erzählten Geschichte. Wie sollte er auch anders, es sind so viele. Müßte er ja sein ganzes Leben erzählen, na ja, fast. Schon springt er wieder auf und hebt zärtlich einen faustgroßen Plastik-Fußball vom Bord. „Na, ist doch schön, oder?“ Eine kurze Drehung, die obere Halbkugel ist abgeschraubt und zum Vorschein kommt ein zuerst undefinierbares Elektrogerät. Ein Druck, ein Brummen, Hans Sodke rasiert sich. Und glüht vor Stolz.

Eine Dachkammer: Wer will, kann raten, welche Farbe Wände und Decke haben. Denn von Wänden und Decke ist praktisch nichts mehr zu sehen. Über-, unter, nebeneinander hängen, kleben Wimpel, Fahnen, Fotos. Borde und Regale sind vollgestopft und -gestellt mit Pokalen, Tellern, Tassen, Tand. Ordner steht an Ordner, die Rücken mit Kicker-Konterfeis beklebt: Dieter Eilts, Olli Reck, ein komplettes Werder-Archiv. Und in die Ecke ist ein Kleiderschrank gequetscht, der fast schon zu bersten scheint. Mittendrin ein Sofa, ein Sessel und natürlich ein Fernseher. Sieben Quadratmeter Fußball, sieben Quadratmeter Leben. Werder, natürlich, vor allem Werder, aber nicht nur. Hans Sodke ist schließlich ein weitgereister Mann. Zu allen Europapokal-Spielen ist er mitgefahren. Da kommt schon was zusammen. Wimpel aus Mailand, Fähnchen aus Minsk, Schals aus weiß der Himmel woher. Zum Beispiel von „damals, in Moskau...“

Könnte man erzählen, die Geschichte, muß man aber nicht, es lockt der Schrankinhalt. Da wären zum Beispiel Trikots aus aller Herren Länder, „insgesamt so hundertzwanzig“, oder der erste Anzug, grün-weiß gestreift, mit allerlei Aufnähern und aufgedruckten Farbfotos. „Den hab ich mir extra schneidern lassen.“ Der erregt immer viel Aufsehen, manchmal auch ungewolltes. Wie einmal in Ost-Berlin, als es Ost-Berlin noch gab. Da sind er und seine Kumpels auf dem Alexanderplatz von 150 DDR-Hooligans verhauen worden. Mit dem Anzug kann man sich schlecht verkrümeln. Und dann gab es noch diese Geschichte, als Werder in Tel Aviv spielte. „Da waren wir an der Klagemauer. Die Rabbis haben vielleicht geguckt“, sagt er und lacht. Nur irgendwie unangenehm, daß er im Stadion von einem alten Israeli wegen der Streifen angemacht worden ist. „Von wegen KZ und so.“ Aber da habe ihn die Miliz beschützt. Und lacht.

Aber das Dollste aus dem Schrank: zwei original Werder-Ausgeh-Anzüge. „Alles von Boss.“ Die hat er von seinem Liebling. Und sein Liebling ist zweifellos und unverbrüchlich Wynton Rufer. Sodke hatte 1990 ein Preisausschreiben des Hilfswerks „World Vision“ mitgemacht, für das sich der Werder-Profi engagierte, und den Hauptgewinn eingeheimst: eine 14tägige Reise mit Rufer nach Äthiopien. „Die Fotos hängen da.“ Sodke und Rufer Arm in Arm vor staubigen Hütten. „Also wie die Leute da leben, unvorstellbar...“ Aber mit Rufer hat er immer noch Kontakt. „Der hat mir gerade jetzt wieder eine Karte geschrieben. Und die Jacken: der Wynton hat dieselbe Größe wie ich. Paßt alles.“

Bei jedem Heimspiel ist er dabei, mittlerweile auf einem Sitzplatz, „man wird ja nicht jünger“. Aber zu den Auswärtsspielen, nein, da bleibt er auch schon mal zu Hause. München, klar, „München muß. Aber Uerdingen und so, da bin ich nie mit.“ Das kostet ja auch alles. „So acht- bis zehntausend Mark gebe ich schon aus.“ Zum Beipiel für den VW Polo, man ahnt die Farbgebung, –zig Autogramme drauf, sauber mit Klarlack gegen Wind und Wetter gesichert, das Innere über und über mit Fotos beklebt, selbst der Motor ist grün und weiß lackiert, und auf der Batterie klebt ein Foto von Mirko Votava. Oder das Werder-“W“, auf den Arm tätowiert, oder das Werder-“W“, in den Haarschopf am Hinterkopf rasiert, oder gar das Werder-“W“, vom Zahntechniker in den (falschen) Schneidezahn graviert, das gibt es alles nicht umsonst. Und soll sich bloß keiner einbilden, daß der Verein eine Mark für seine lebende Werbesäule übrig hätte. Da ist mal hier und mal da was versprochen worden, „aber ich bettele doch nicht hinterher. Das ist doch so: Ich kann dem Willi Lemke noch 'ne Million vorbeibringen, ehe der mal hundert Mark hergibt.“

Dann wäre da ja auch noch Ingeborg, seine Frau. Und die interessiert sich nun gar nicht für Fußball. Natürlich schimpft die, wegen dem Geld, „aber ich mach das für mich“. Das scheint zu funktionieren. „Wir sind seit 28 Jahren glücklich verheiratet.“ In der gemeinsamen Wohnung ist kaum etwas von Sodkes grün-weißer Leidenschaft zu sehen. Die familiäre Krise gab es allerdings, als Tochter Tanja heiraten wollte. „Ich hab den erst gar nicht akzeptiert. Der hat überhaupt nichts mit Fußball am Hut.“ Am Ende war das allerdings auch kein Grund zum echten Streit für Hans Sodke. Dem die Kumpels und Kollegen nachrufen: „'Da kommt der Verrückte' – aber das kenne ich schon.“

Jochen Grabler