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: Silber für Kreuzberg!

Das Schönste an der albernen Olympiade ist, daß sich immer weniger Leute dafür interessieren, je mehr die Medien sie aufblasen! Das gilt besonders für Kreuzberg. Dabei kam von dort der goldverdächtige Europameister im Halbweltergewicht, Oktay Urkal, der am letzten Atlanta- Nervtag gegen Hector Vinent aus Kuba („Where boxing ain't allowed no more!“ – Bob Dylan) antrat: und nach Punkten verlor!

Urkal, der sich „Muhammed Ali von Kreuzberg“ nennen läßt und gern im Cabrio die Oranienstraße rauf- und runterdüst, verkehrt – ebenso wie einige andere Boxer aus dem Ring der „Neuköllner Sportfreunde“ – im Adana-Grill in der Manteuffelstraße, wozu bis vor einiger Zeit auch das Kellerlokal „Mahsen“ („Weinstube“) gehörte. Beide Etablissements werden von den etablierten Hausbesetzern gegenüber als „üble Drogenumschlagplätze“ bezeichnet.

Wahr ist, daß im „Mahsen“ des öfteren reiche Türken mit ihren Mercedessen vorfuhren, um dort zu essen, und – selbstbewußt genug – dem Wunsch der Ökos, solange den Motor auszustellen, nicht nachzukommen. Zwei Kuriere aus dem „Mahsen“ belieferten zudem allnächtlich türkische Bars und Bordelle mit Gegrilltem.

Der berühmteste Gast dort war Askin Karaoglan – ein Tenorsänger, dem zwei Ehefrauen weggelaufen waren: beide, weil Askin als klassischer Sänger zunehmend weniger arbeitete und sie deswegen mitverdienen mußten. „Als Selbstverdiener wollten sie dann natürlich mehr Rechte – oh, die Emanzipation ist ein Kampf“, so der immer mehr Raki trinkende Askin in fast schon marxistischer Erkenntnisklarheit. Der „Adana-Grill“ hieß früher bemerkenswerterweise „Selbstgrill“, und es verkehrten viele junge „Kämpfer“ dort: Judo, Boxen und „Streetfighting“. Einige gingen im vergangenen Jahr nach Tschetschenien, um sich dort den islamischen Kämpfern gegen die Russen anzuschließen – nicht so sehr aus Glaubenseifer, sondern eher aus arbeitsloser Perspektivlosigkeit und weil ihnen seit der Wende der deutsche Rassismus immer mehr auf die Pelle gerückt war.

Auch der deutschpässige Boxer Oktay Urkal wird davon verfolgt – bis nach Atlanta: Der TV- Moderator bezeichnete „den gebürtigen Türken“ durchgängig als „Berliner“ bzw. „Kreuzberger“: „Aber er kämpft, das war auch nicht anders zu erwarten!“ Von seinem Gegner Hector Vinent wußte das öffentlich-rechtliche Arschloch: „Alle Kubaner sind physisch stark, sie tun ja auch nichts anderes als boxen!“

Wahr ist: „Man spielt Baseball, aber man spielt nicht Boxen“ (Joyce Carol Oates). So gesehen müßte dieser Sport auf der Olympiade ebenso verboten werden wie das Boxen einst auf Kuba. Dort waren übrigens in diesem Jahr in allen Hotels die Olympischen Spiele über US-Fersehsender zu empfangen, was unter den europäischen Touristen fast einen Aufstand auslöste, denn diese Idiotensender lieferten ausschließlich Bilder von amerikanischen Sportlern, und am ausgiebigsten zeigten sie das heuer erstmalig als olympische Disziplin zugelassene Baseball, das niemanden interessierte. Im Adana-Grill interessierte noch nicht einmal das dagegen vergleichsweise unpatriotische deutsche Olympia- TV-Programm. Selbst den Kampf Urkal gegen Vinent verpaßte man dort. Als Mehmet vom Boxverein „Neuköllner Sportfreunde“ reinkam und berichtete, daß Oktay soeben „Silber“ erkämpft habe, wußte der Kellner jedoch zu ergänzen, daß mit dem Boxer Thomas Ulrich, der tags zuvor „Bronze rausholte“, nunmehr zwei „Berliner“ Medaillen gewonnen hätten.

„Warum boxen Sie?“ wurde einst der irische Champion Barry McGuigan gefragt. „Weil ich kein Dichter bin, ich kann keine Geschichten erzählen!“ Von dem „Berliner“ Rocky Graziano weiß man, daß er manchmal seine Gegner küßte – aus Dankbarkeit für den Kampf. Helmut Höge

wird fortgesetzt