Mit einem Van-Gogh-Film in der Kamera

Auf dem Seziertisch: Der britische Maler Peter Doig zeigt seine horrorfilmartig verfremdeten Landschaften in der Bremer Gesellschaft für Aktuelle Kunst. Von Casper David Friedrichs Ruinen bleiben nur Farbstümpfe zurück  ■ Von Harald Fricke

Sie haben viel Weißfläche gelassen in Bremen. Wenn man die schlauchförmige Galerie der Gesellschaft für Aktuelle Kunst betritt, sieht man auf der Fensterseite lange zur Weser hinunter, und gegenüber hängen ein paar verschlungene Landschaften. Daß die Ausstellung „elf große Bilder von Peter Doig“ zeigt, kommt einem zunächst verdächtig vor. Merkwürdig unangemessen. Warum nimmt sich ein Künstler bei seiner ersten Einzelpräsentation in einem Kunstverein derartig zurück? Traut er der eigenen Malerei nicht über den Weg? Noch irritierender als die beschränkte Auswahl aber ist die Liste der Leihgeber: London, Berlin, Hamburg, New York. Offenbar war hier ein Talent ganz still am Werk.

Auf den Bildern des 36jährigen Briten setzt sich der Hang zum Unspektakulären fort. Einsam schillern die Motive; Menschen und Dinge sehen selbst in gleißende LSD-Farben getaucht ein wenig verloren aus. Angler angeln in der Dämmerung, ein Skifahrer stolpert über die Sprungschanze ins Leere, ein gelber Snowboarder gleitet durch den verschneiten Himmel. Sogar die Umgebung scheint sich jeden Moment verflüchtigen zu wollen: Schichtweise decken sich Baumreihen, moosartige Quallen und dahingetupfte Schneeflocken gegenseitig ab, lösen sich auf, schwimmen auf der Fläche ziellos davon. Die Welt sieht aus, als hätte Doig beim Malen in die Sonne geblinzelt und dann vor lauter Licht nur noch flirrende Schatten gesehen. Möglicherweise waren auch Psychedelika im Spiel: abstract expressionism on acid.

Peter Doig liebt die Wirkung solcher Effekte, bei denen Stimmungen herauskommen, „als ob man mit einem Van-Gogh-Film in der Kamera fotografiert“. Das klingt zwar glamourös, nach dem rasant durchgesetzten Sound of Britpop (Doig war nicht in Damien Hirsts „Freeze“-Show), und eben doch viel zu technisch für einen Maler, der sich mit jeder neuen Farbschicht einem anderen Leitbild zuwendet: C. D. Friedrichs nach innen gekehrte Ruinen, Seurats akribischer Pointillismus. Schwelende Natur à la Munch. Und Hopper vielleicht, dessen schlichte weiße Hütten Doig zumindest ebenso zielstrebig verarbeitet wie etwa Le Corbusiers „Unité d'habitation“, das als Betonblock plötzlich in einem Wald auftaucht, weil ihn „Landschaft lediglich als Ort interessiert“. Bald versinkt der Angler auf „Lunker“ (1995) in einer tiefromantischen Düsterness, die am unteren Bildrand in blau tropfenden Pinselspuren zerläuft.

Was immer Peter Doig dabei zitiert, am Ende landen die Vorlagen auf dem Seziertisch. Auf „Window Pane“ (1994) geht Munchs fiebrige Naturdarstellung zwischen abstrakt zerschabten weißen Flächen unter, von C. D. Friedrichs Landschaften bleiben cremig rote und braune Farbstümpfe zurück, den Le Corbusier im Hintergrund von „Concrete Cabin II“ (1993) kann man nur noch erahnen. Für einen Moment wird die Geschichte der letzten hundert Jahre Malerei kurz eingeblendet, dann werden ihre Bestandteile zerlegt, gefiltert, malerisch umgesetzt und schließlich ausgemustert, um unter noch einem Motiv mehr zu verschwinden. Insofern bleibt Doig ein unbarmherziger Konzeptualist, der seine Stilmittel selbst dann noch analysiert, wenn er ihre Wirkung feiert.

Van Goghs Bauer auf dem Feld entpuppt sich als „Young Bean Farmer“ aus irgendeinem Film über den amerikanischen Mittelwesten, und die Holzhäuser von Hopper sind Mustervillen aus dem Katalog, die sich auf „Camp Forestia“ nah am Kitsch in einem Tümpel spiegeln. Das Bild könnte Doig als alteingesessener Splatter- Fan allerdings auch „Halloween“ oder „Freitag der 13.“ nachempfunden haben, wo solche ruhigen Einstellungen noch als Erholungspause zwischen den Massakern eingesetzt wurden, damit der nächste Schrecken auch wieder wirken konnte.

Entsprechend ist auch das so sittsam konstruierte Meistermalertreffen für Doig nur ein günstiger, vielleicht sogar fruchtbarer Augenblick, bevor sich der Terror der Bilder im Chaos entlädt. Dort liegt die Überwältigung nicht im All- Over, sondern im Übergang von Detail zu Detail: Am Ende kommt ein 200x275 Zentimeter großes Monstrum wie „The Architect's Home in the Ravine“ (1991) heraus, bei dem sich jeder Bildraum seine eigene Oberfläche schaffen will.

Das Haus ist betont sachlich gemalt, hübsch impressionistisch mit dürrem Gestrüpp verstellt und von aberhundert Pinselstrichen überlagert, als wäre Doig zum Abschluß mit Schlittschuhen wild über die Landschaft gefahren. So starrt man auf lauter sperrige Angelegenheiten, bei denen der Kopf sich schneller zurechtfindet als das Auge.

Alles Material ist nur Malgrund: „Das eine Bild ist eigentlich eine Postkarte, die an der Wand eines Raumes hängt, der von jemandem aus einem anderen Bild bewohnt wird, der wiederum in einem Haus lebt, das das Motiv eines weiteren Bildes ist... Es sind Welten in Welten in Welten.“ Gefühl, Form, Absicht oder Zufall – wie in der finalen Raserei eines echten Horrorfilms läßt sich nichts mehr unterscheiden. Dann möchte man lieber wegschauen, bevor der Snowboarder aus seiner gelben Wolke auf den gefrorenen Acker stürzt wie Breughels Ikarus. Doig scheint es eher zu amüsieren.

„Homely“. Bis 25. 8., Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen