Wie wird ein Jungmann zum Schläger? Warum prügelt er mit Fäusten und Knüppeln auf wehrlose Menschen ein? So einer ist hilf- und orientierungslos, sagen die Soziologen, ohne Arbeit und Hoffnung auf eine Zukunft. Der Schläger sagt, er will nu

taz: Wie wird man eigentlich zum Schläger?

Gerry: Meine persönliche Wende war im Mai 92. Da habe ich mir ganz schwarze Klamotten angezogen und bin runter an den See gelaufen. Da waren ein paar Typen, die fanden das ziemlich kacke und haben mir eins aufs Maul gegeben. Die, die meine Freunde waren, habe ich dadurch verloren. Da brauchte ich neue. Die habe ich in der Berufsschule gefunden, bei der Nationalen Front.

Und seitdem machst du Jagd auf alle, die irgendwie ins linke Lager passen?

Politische Meinungen sind reine Nebensache. Es geht um den Spaß am Krieg. Schlägereien sind eine Sache der Kriegsführung. Wir sind eine lose Gruppe von etwa zehn Leuten, und ich bin ihr Leitwolf. Und ich habe meinen Ruf und den Namen der Gruppe zu verteidigen. Wenn die Feindbilder stimmen, können wir Krieg spielen.

Spontaner Haß als Leitmotiv?

Der Haß kommt nicht spontan. Der baut sich langsam in der Gruppe auf.

Wie geht das vor sich?

Ein Beispiel. Vor einem Jahr schäkerte ein Freund von mir im Bus mit einem Mädchen aus einer anderen Clique. Sie fühlte sich mächtig geschmeichelt und gab in ihrer Gruppe damit an. Das freute ihren Freund gar nicht. Er trommelte vier Wochen später seine Kumpels zusammen. Die Horde von 15 Leuten tauchte hier am See auf und vertrimmte uns.

Für euch vermutlich ein klarer Fall von Notwehr?

Wir haben uns gewehrt, aber mit unserem Vergeltungsschlag haben wir wochenlang gewartet. Zwischendurch haben wir die getriezt, mal den Mittelfinger gezeigt, mal einen Spruch durchs Autofenster geworfen. So ging's zwei Monate. Im November habe ich als Gruppenchef beschlossen, daß die Zeit reif ist. Wir sind zur Arbeitsstelle des „Leitwolfs“ der anderen Gruppe gefahren. Als er vor mir stand, habe ich ihn nur angeguckt, und dann ging's los: erst aufs Nasenbein, dann Jochbein, wieder Nasenbein – also der klassische Dreierschlag. Mein Kumpel schlägt ihm den Baseball zwischen die Beine und in den Rücken. Wir haben den richtig toll verledert. So lange, bis die Polizei kam.

Du hast Nasenbeine zertrümmert, Arme gebrochen, mit den Stahlkappen in den Stiefeln Nieren geprellt. Du hättest einen Menschen zum Krüppel schlagen oder ihn töten können.

Ich würde niemand in den Rollstuhl bringen. Ich trete mit Intuition zu.

Du trittst mit solcher Wucht zu, daß du dem anderen die Wirbelsäule brechen könntest.

In dem Moment, wo du Haß empfindest, denkst du zwar an nichts, aber dein Instinkt berechnet, daß du so zutrittst, daß der andere keinen dauerhaften Schaden davon hat. Mein Instinkt hat mir im Leben immer geholfen. Auch im guten. Als ich meine Freundin kennenlernte, konnte ich ihr genau sagen, welche Hobbies sie hat.

Der andere windet sich im Schmerz. Empfindest du kein Mitleid?

Warum? Ich sage mir, wenn ich an seiner Stelle läge, würde er sich auch keine Gedanken um mich machen. Mitleid ist für mich ein ziemlich leeres Wort. Ich bin da seelisch total hart.

Und wenn du am Boden liegst?

Sage ich: Pech gehabt. Über Dinge, die ich nicht ändern kann, mache ich mir keinen Kopf.

Wie spürst du Haß?

Ich will einen anderen irgendwie kaltmachen, Macht haben, will, daß er unter mir liegt. Das ist ein schönes Gefühl. Und wenn er dann sagt: bitte, bitte, und du in dem Moment noch mal reintrittst, laufen dir Schauer über den Rücken, daß es kribbelt. Du fühlst dich kraftvoll und frisch. Glücklich eben. Danach denkst du an die Anzeige, an das Schmerzensgeld, das sie dir aufbrummen, und du fragst: Für was hast du das jetzt getan? Aber Schlagen ist einfach schön. Wie mit 200 Sachen über die Autobahn fliegen.

Du hast zwei Lehrstellen verloren und mußt über 7.000 Mark an Schmerzensgeld zahlen...

Schlagen ist ein Luxus, den ich mir eigentlich gar nicht leisten kann.

Prügelst du immer nur in der Gruppe?

Erst mal schaukeln sich die Situationen hoch, wie bei der Sache mit dem Mädchen. Regel ist: kein Überfall auf die Wohnung des Gegners, seine Familienangehörigen sind tabu, Frauen sind tabu. Wir gebrauchen auch meistens keine Waffen. Wenn wir spontan zuschlagen, sind das Trainingskämpfe, um im Ernstfall gut bestehen zu können. Damit wir die Technik draufkriegen und ausdauernd werden. So ein Trainingskampf wird anschließend in der Gruppe genau durchgesprochen.

Gemeinsam seid ihr stark, alleine aber schlicht feige.

Nein, nein. Ich mußte mich erst hochprügeln, um Anerkennung zu finden. Ich habe mir meinen Namen regelrecht erkämpft. Ich gehöre zu den besten Schlägern in der Umgebung. Jedes Dorf hat seinen „Leitwolf“. Ja, irgendwie begreife ich uns als ein Rudel Wölfe. Aber meinen Namen muß ich in Einzelkämpfen auch immer wieder alleine verteidigen.

In welche Kategorie fällt ein Campingplatz-Überfall auf eine katholische Kindergruppe, wie neulich in Mecklenburg?

So was passiert spontan. Da spielt Gruppenzwang eine große Rolle. Man will Stärke zeigen, sich einen Namen machen, Haß haben.

Ohne eine politische Absicht?

Ich hatte das fast nie. Der Haß ist wichtig, ob das ein Linker ist, ein Wessi oder sonstwas, das ist egal. Hauptsache, die Gruppe steht zusammen wie ein Mann.

Ihr bringt euch in einen Zustand der Raserei, um sagen zu können, wir, unsere Gruppe hat etwas Wichtiges durchgemacht, etwas Handfestes?

Ja. Das erlebt man nur einmal im Leben, so eine Phase. Wir bleiben Kumpels, ein Leben lang. Irgendwann kriegt man Kinder, hat eine Frau, und dann ist das vorbei. Aber die Kumpels bleiben.

Wie kann man sich gegen solche Rambos wie euch schützen?

Abhauen.

Du willst bestimmen, wer sich wo aufhalten darf?

Das ist eben so, auch wenn's unrecht ist. Aber wenn du auf einem Campingplatz bist, und uns ist nach Schlägerei zumute, dann hilft dir dieses Daseinsrecht auch nicht weiter. Da hilft nur, abzuhauen oder die Bullen zu rufen. Vor einer Uniform ist man ein bißchen ruhiger.

Im Moment hältst du dich mit Schlägereien zurück, weil die Bewährung auf dem Spiel steht. Warum fürchtest du den Knast?

Ich würde nach Halle oder Dessau kommen. Das ist die Hölle; entweder man kriegt dort jeden Tag eins aufs Maul oder wird, auf gut deutsch gesagt, in den Arsch gefickt. Das ist nicht schön. Davor habe ich Angst.

Was oder wen magst du?

Meine Eltern, Bier, meine Kumpels.

In deinem Zimmer steht ein schwarzes Schild: „Volksgenossen! Braucht ihr Rat und Hilfe, so wendet Euch an die NSDAP“.

Das symbolisiert für mich die Macht, die ich meine, Stärke, Festigkeit und Sicherheit.

Und Gerry ist ein „Markenname“ für Gewalt?

Ja, alle verbinden ihn damit. Manchmal würde ich gerne einen anderen haben.

Weil du dir die Zukunft zerschlagen hast?

Ich habe immer gewußt, daß ich mir die Zukunft verbaue. Vor und nach jeder Aktion. Ich nehme es in Kauf.

Hast du überhaupt keine moralischen Probleme mit dem, was du machst?

Ist doch so: Jeder muß sehen, wie er sich durchs Leben kämpft. Und wenn ich mich so umgucke, gibt mir doch alles recht. Letzten Endes verstehen ja auch meine Eltern meinen Haß. Die spüren ja selbst Haß im Dorf. Dieses Getratsche. Irgendwo passiert was, und dann sagen die Nachbarn: Das war doch bestimmt Ihr Sohn? Diese Gerüchte sind auch eine Form von Haß. Oder die nächtlichen anonymen Telefonanrufe. Eine Morddrohung hat meine Mutter schon bekommen, und dann rufen immer verschiedene Typen an, geben sich als Polizei aus und sagen: Gleich kommen wir zur Hausdurchsuchung. Das sind Leute aus dem Dorf. Meine Mutter ist mit ihren Nerven völlig am Ende.

Soziologen behaupten, ihr seid der verlängerte Arm eurer frustrierten Eltern.

Quatsch. Wir rebellieren gegen Anstand, Langeweile und Weicheier. Wir wollen Männer sein.

Ihr schlagt, weil ihr keine Arbeit habt.

Ausrede. Wenn ich kein Geld hätte, würde ich einen Raubüberfall machen. Eine Körperverletzung bringt aber kein Geld. Ne, Arbeitslosigkeit spielt bei keinem von uns eine Rolle.

Ihr haßt die Wessis.

Blödsinn, dann würden wir keine Linken aus dem Nachbardorf verprügeln.

Was denkst du, wenn du in den Spiegel guckst?

Schöner Körper. Mein Kreuz finde ich herrlich, so breit, meine Hüften ganz schmal, kein Bauchansatz, kein Gramm Fett. Aber hier am rechten Arm, diese Narben, das waren Zigaretten, die ich mir reingedrückt habe, die zwei Schnitte am Handgelenk, da wollte ich nicht mehr. Na ja, meine Ohren könnten besser sein, nicht so abstehend. Aber insgesamt bin ich sehr zufrieden.

Abgesehen von dir selber magst du den Rest der Welt nicht.

Manchmal denke ich, wenn das so weitergeht, erschieße ich mich.

Warum willst du sterben?

Weil ich manchmal denke: Du bist ein Loser. Einmal habe ich mir die Pulsadern aufgeschnitten, einmal 20 Schlaftabletten geschluckt, einmal bin ich gegen einen Baum gefahren. Aber ich glaube, Selbstmord ist kein richtiges Risiko. Also wenn ich von der Bundeswehr komme, will ich nach Kroatien. Da kriegste für drei Monate Einsatz 30.000 Mark. Wenn ich da sterbe, habe ich eben Pech gehabt.

Keine Angst vorm Tod?

Ne. Wenn ich zurückkommen sollte, kaufe ich mir einen schnellen Honda. Und kann mein Glück genießen.

Warum willst du dich erschießen lassen in einem ausgelaufenen Krieg, mit dem du nichts zu tun hast?

Ganz so scharf bin ich nicht aufs Leben. Interview: Annette Rogalla