Der taz-Sommerroman: „Dumm gelaufen“ – Teil 21

Es schwappte über die Matratze in die Freiheit. Seine Flucht vertuschte das Baby, indem es sich in verschiedene Fruchtwasseradern teilte. So ne Schweinerei! rührte sich der Magen von Weizen, während sein Baby vor ihm auf und davon floß. Aber Weizen hatte andere Sorgen als Carola, also echte. Weizens Gedanken gingen über Leichen. Er stotterte einen Artikel: Jugendliche traten ins Schwarze,Rentner tot!

Vermutlich hatten sie nur gesoffen. Vermutlich hörten sie noch die Musik der Skinhead-Band: Böhse Onkelz. Vermutlich brüllten sie Sieg, Heil. Vermutlich wollten sie nur einen Polen klatschen, aber nicht den 73jährigen Rentner Herbert Schmakkes. Aber Pollacken fanden sie nicht in der Lange Reihe. Auch keine Schwatten! So mußte halt ein alter, unschuldiger Mann seinen Kopf hinhalten. Er wurde nur das zufällige Opfer der Brauns: Sein Hinterhof befand sich am Weg zum Hauptbahnhof, zu dem die Bande wahrscheinlich wollte, um ihre täglichen Geschäfte abzuwickeln. Der Rentner, der schon seit über 20 Jahren in der Langen Reihe wohnte, hatte wie immer ahnungslos im Hinterhof auf seiner Lieblingsbank Spatzen gefüttert und Tauben gefangen, da überraschten ihn die Brauns! Und aus Frust und Langeweile töteten sie den Vogelliebhaber mit brutalen Tritten. Der Gerichtsmediziner sagte aus: Unvorstellbar! Sie benutzten frische Springerstiefel! Das Opfer konnte sich nicht mehr schwerverletzt zu einer Telefonzelle schleppen, um nach Hilfe zu rufen. Brauns wurden kurz darauf nicht festgenommen. Auch die Hamburger Staatsanwaltschaft sieht nur ein einzig denkbares Motiv für die Bluttat: Langeweile rechtsradikaler Jugendlicher! Wer von euch hat diesen Schmackes gefickt! Weizen finsterte die Runde der versammelten Brauns an. Die Brauns schaften ganz schwarz und stumm auf ihren Plätzen, obwohl nicht einer von ihnen den Rentner platt gemacht hatte. Aber das glaubte Weizen ihnen nicht. Denn die Wahrheit zählte für Weizen gerade dann nicht, wenn sich die Bullen, die Presse und die ganze Stadt gegen seine Brauns stellten. Es waren immer die Brauns. Und immer ging einer von ihnen fort. Weizen mußte das Problem selbst aus der Welt schaffen. Er mußte das Unrecht als Recht und das Recht als Unrecht unter den Brauns vollziehen. Schließlich galt es die Geschäfte zu retten. Weizen dachte da selektiv, sehr biologisch. Einer für alle! Einer von ihnen mußte sterben, damit die anderen überleben konnten. So machten es auch die Ratten in der Kanalisation. Alle Ratten. Weizen machte die natürliche Auslese zum Gesetz; für sich und seine Brauns. Ein ungeschriebenes Gesetz, das das allgemeine Klima im Bunker zum Schwitzen brachte. Weizen legte richtende Blicke in die Augen der Brauns. Sein Blick wanderte von Jan über Hein zu Claas, zu Pit, aber die hatten Baseballschläger, die wehrten sich. Schließlich suchte sich Weizen Skinny aus. Er sollte der Täter sein, der Täter aus den Reihen der Brauns, so war es schon immer gewesen, um den Rest zu retten. Dir ham sie wohl ins Gehirn geschissen. Ich mach hier doch nicht den Mörder für euch! Wer sonst! fragte Weizen. Am Arsch! Skinnys Baseballschläger meuterte sofort. Er machte sich zum Anschlag auf Weizen bereit. Über sein Gesicht schmierte ein Grinsen. Die Frage nach der Ehre der Prizzis stellte sich Skinny nicht. Diesmal geht eine von den Frauen in den Bau! Warum nicht Carola, da bekommt sie endlich mal was auf die Fresse! Sau! sagte Carola unter Schmerzen. Und Weizen hatte ein Irrlicht für fremde Schiffe im Schwarz seiner Augen. Auf diese Idee habe ich schon lange gewartet! Seine Stimme streute Zucker aus. Seine Augen waren voll Rotkäppchen, und seine Lämmer krochen aus den Ecken, Wandschränken und Standuhren.

(Fortsetzung folgt)

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