Stardust Memories

„Ich habe nur Befehle ausgeführt“? Schluß damit! Topstars aller Klassen – von Anjelica Huston bis Jean-Claude Van Damme – werden Regiedebütanten. Es geht meist um ernste Dinge  ■ Von Lars Penning

Tom Hanks und Diane Keaton hatten zunächst vorsichtig beim Fernsehen geübt; Anjelica Huston, Jean- Claude Van Damme und Al Pacino wagten sich gleich an die wirkliche Sache. Jodie Foster hat es mittlerweile schon auf zwei Regiearbeiten gebracht. Und prompt wird es honoriert: Nach Robert Redford, Kevin Costner und Clint Eastwood wurde bei der letzten Oscar-Verleihung auch Mel Gibson für sein Schottenepos „Braveheart“ mit dem begehrten Regiepreis ausgezeichnet.

Natürlich ist man zunächst geneigt, überschießende Eitelkeiten für den Trend verantwortlich zu machen: Ihre Position als Kassenmagneten ausnutzend, besetzen sich die Stars selbst als Regisseure, um sich dann ungehindert in opulenter Selbstdarstellung zu ergehen.

Aber die meisten Filme der letzten Jahre bestätigen diese Vermutung nicht. Eher schon geht es darum, sich als seriöse Künstler zu etablieren. Dabei scheidet die Komödie als Option aus. Das ernste, um nicht zu sagen schwermütige Thema überwiegt, und ein Hauch von Kunst weht über den großen Teich. So dokumentierte sich beispielsweise Al Pacino bei seinen Proben zu Shakespeares „Richard III.“ als großen Kunstdemokraten, der das Erreichte in Straßenumfragen zur Diskussion stellt, während es in Anjelica Hustons Debüt aufs polemischste um das Thema Kindesmißbrauch geht. Diane Keatons Familienfilm „Unstrung Heroes“ beschäftigt sich melancholisch mit dem Erinnern und Vergessen, während Tim Robbins sich mit seinem Country-Politikerporträt „Bob Roberts“ und dem Anti- todesstrafeplädoyer „Dead Man Walking“ auf das undogmatische Engagement verlegte. Daß er dabei über ein „Kino der guten Absichten“ hinausgekommen ist, liegt eben an seiner Erfahrung als Schauspielerkollege: Unter Robbins Regie spielen Susan Sarandon und Sean Penn so gut wie nie. Er hat ihnen gute, spielbare Drehbücher, stimmige Dialoge und glaubwürdige Charaktere verschafft. Hier tut sich eine Chance für das zeitgenössische Kino auf: Die Filme der Schauspieler/Regisseure bilden einen Gegenpol zu den Special-effects-Orgien der sogenannten Event-Filme, die das amerikanische Kino ästhetisch wie kommerziell in zunehmendem Maße dominieren.

Ein Blick in die Filmgeschichte zeigt, daß die Doppelfunktion Schauspieler/Regisseur durchaus nichts Ungewöhnliches ist. George Méliès, der französische Illusionist und Kinopionier, trat oft und gern in seinen Produktionen auf und schreckte selbst vor Hauptrollen in Shakespeare-Verfilmungen nicht zurück. In den zehner und zwanziger Jahren zeichnete sich dann ein erster Trend ab: Es waren vor allem berühmte Komiker wie Max Linder, Charlie Chaplin oder Buster Keaton, die ihre eigenen Filmcharaktere entwarfen, Gags und Drehbücher schrieben und auch die Inszenierung selbst übernahmen. In dieser Tradition folgten ihnen später Jacques Tati, Jerry Lewis und Woody Allen.

Doch Komiker mußten bald erkennen, daß der künstlerischen Weiterentwicklung als Regisseur ihr Image als Schauspieler im Wege stand. Denn es waren die populären Figuren wie Chaplins „Tramp“, Tatis „Monsieur Hulot“ oder Allens „Stadtneurotiker“, die das Publikum ins Kino lockten. Die meisten Komiker versuchten den Imagewechsel trotzdem – und scheiterten.

Nachdem Chaplin seinen „Tramp“ aufgegeben hatte, wurde er mehr und mehr zum Bastler und benötigte oft Jahre, um ein Projekt fertigzustellen. Mit der Zeit verlor er völlig den Kontakt zu den zeitgenössischen Entwicklungen des Kinos. Seine späten Filme wirkten altmodisch und wurden zunehmend von seinem Hang zum Predigen humanistischer Binsenweisheiten geprägt. Spricht man heute von Chaplin als genialem Regisseur, dann ist meist seine Frühzeit gemeint.

Woody Allen hat sogar einen Schlüsselfilm über das Problem des Imagewechsels gedreht: In „Stardust Memories“ spielt er einen Regisseur und Komiker, der nicht mehr komisch sein möchte. Diese Entscheidung wird von Produzenten, Manager und Publikum naturgemäß mit Entsetzen aufgenommen. Im richtigen Leben ergeht es Allen kaum anders: Seine „ernsten“ Frauen- und Familienporträts werden nur deshalb leidlich akzeptiert, weil er auf eigene Auftritte in diesen Filmen verzichtet. Und natürlich wartet alle Welt gespannt auf den nächsten „lustigen“ Allen-Film.

Neben den Komikern waren es vor allem Schauspieler mit besonderen Fähigkeiten, denen der Wechsel ins Regiefach gelang: So reüssierte zum Beispiel der Tänzer und Choreograph Gene Kelly als (Co-)Regisseur einiger Musicals, während der Südtiroler Alpinist Luis Trenker als unumstrittener Regiekönig die filmische Bergwelt regierte. Daher verwundert es auch nicht weiter, daß Karate-As Jean-Claude Van Damme jetzt zu seinem Regiedebüt beim Kampfsportfilm „The Quest“ kam. Dort beweist er allerdings, daß er ein ebenso grottenschlechter Regisseur wie Schauspieler ist.

Ob die Damen und Herren Huston, Foster, Hanks oder Gibson in Zukunft tatsächlich eine dauerhafte Regiekarriere anstreben, steht noch in den Sternen. Doch mit Ausnahme der oben erwähnten Komiker hat es bislang lediglich Clint Eastwood verstanden, in der Doppelfunktion Schauspieler/ Regisseur nicht nur seine Popularität beim Publikum zu erhalten, sondern auch den Respekt der Kritiker zu erwerben. Seit seinem Regiedebüt mit „Play Misty for Me“ (1971) betreibt er eine clevere Doppelstrategie: Für die Genre- fans spielt der ehemalige Italo-Western-Star immer wieder den einsamen Rächer, oder er hält in Polizeifilmen die 44er Magnum dekorativ in die Kamera. In Produktionen, die seinem Herzen nahestanden, legte er hingegen sein „Dirty Harry“-Image ab und zeigte sich beispielsweise als heruntergekommener Country-Sänger („Honkytonk Man“) oder als Großwild jagender Filmregisseur („White Hunter, Black Heart“). Sein bislang letzter Film „The Bridges of Madison County“ erzählt eine bewegende Liebesgeschichte, und mit seinem Meisterwerk „Bird“ (in dem Eastwood nicht mitspielt) schuf er ein Porträt des Jazzmusikers Charlie Parker. Und obwohl auch Eastwood einige peinliche Ausrutscher (z.B. „The Rookie“) zu verzeichnen hat, steht er mit seiner eindrucksvollen Karriere von bislang achtzehn Regiearbeiten in fünfundzwanzig Jahren doch einzig da.

Als möglicher Nachfolger des Altmeisters scheint bislang nur der britische Shakespeare-Mime Kenneth Branagh in Sicht. Wie Eastwood ist auch Branagh bei seinen bisherigen Regiearbeiten so einiges mißglückt: So wurde sein „Henry V.“ von einer pompösen Musik nahezu erschlagen, und beim Reinkarnationsthriller „Dead Again“ erwies sich das bescheuerte Thema als Totgeburt. Doch wer sich an die Lebendigkeit, Schlagfertigkeit, aber auch die delirierenden Kamerafahrten in „Much Ado About Nothing“ erinnert, weiß, daß Branagh neben Charisma und Schauspieltalent auch eine große visuelle Imagination besitzt. Während Eastwood aus dem Genre- ins Autorenkino sprang, zieht Branagh langsam, aber sicher von Shakespeare zur Popkultur. Der Kinoszene haben solche Kreuzungen immer gutgetan.