Erschwindeliger Reichtum

■ Eine Altenpflegerin soll weit über 100.000 Mark in über 50 Fällen ergaunert haben

Knapp zwanzig Minuten ist die Staatsanwältin damit beschäftigt, die Anklageschrift zu verlesen. Die Angeklagte, die sich wegen Betrugs vor dem Amtsgericht verantworten muß, hält ihre Hände vor dem Bauch verschränkt. Die Mundwinkel, die sie sorgfältig mit rotem Lippenstift geschminkt hat, sind heruntergezogen, und in ihrem Blick scheint die Gewißheit zu liegen, daß sie in diesem Gerichtssaal ohnehin niemand versteht.

Betrug in großem Stil legt ihr die Staatsanwältin zur Last: Über 100.000 Mark soll die ehemalige Altenpflegerin sich von einem älteren Ehepaar geliehen und nicht zurückgezahlt haben. Mit einer Zusatz-Kreditkarte, die sie über eine Bekannte erschwindelt haben soll, hat sie binnen weniger Wochen über 15.000 Mark ausgegeben: Allein 2.500 Mark hat sie im Monat fürs Taxi bezahlt. Für über 10.000 Mark hat sie sich in Nobel-Boutiquen eingekleidet.

Auch das Konto ihrer Mutter versuchte sie zu plündern: Binnen zwei Monaten läßt sie 18 Schecks platzen. „Ich habe ja schon lange kein eigenes Konto mehr. Ich glaube, ich habe bald jedes Jahr eine eidesstattliche Versicherung abgegeben.“ Ihren Garten läßt die Frau von einem Landschaftsgärtner verschönern. Die Kosten von über 14.000 Mark kann sie nicht bezahlen. 15.000 Mark soll sie sich von ihrem Versicherungsvertreter geliehen haben.

Hinzukommen kleinere Betrügereien: Mal kassiert die Frau 300 Mark Anzahlung von einem Bekannten, dem sie ein Auto vermitteln will. Er bekommt kein Auto, das Geld hat sie ausgegeben. Sie ist arbeitslos gemeldet, obwohl sie schon längst wieder einen Job hat. „Das war ein Versehen.“ Sie bestellt bei Quelle, kauft bei Karstadt – die Rechnungen zahlt sie nicht.

Die Gerichtsvollzieher gehen bei ihr ein und aus. „Duzen Sie sich eigentlich schon mit dem Gerichtsvollzieher“, will der Richter wissen. „Nein“, antwortet die Angeklagte prompt. „Das Du hat mir nie einer angeboten. Das waren ziemlich viele Gerichtsvollzieher.“

Doch so auskunftsfreudig ist die Angeklagte während der viereinhalbstündigen Verhandlung selten. Selbst über ihre Lebensgeschichte will sie lieber nichts erzählen. Erst als der Richter den Lebenslauf aus einem früheren Urteil verlesen will (zwei Mal hat die Angeklagte schon wegen Betrugs im Gefängnis gesessen), erklärt sich die Frau bereit, auf seine Fragen zu antworten: Ihr Vater war kaufmännischer Angestellter, die Mutter Verkäuferin. Sie hat noch zwei Geschwister. Mit 16 heiratet sie das erste Mal, „weil ein Kind unterwegs war“. Inzwischen ist sie zum dritten Mal verheiratet und hat sechs Kinder im Alter von 4 bis 29 Jahren. Nach der Ausbildung zur Altenpflegerin absolviert sie eine dreijährige Ausbildung zur Sanitäterin. Sie arbeitet im erlernten Beruf. Später macht sich die Frau mit einem Pflegedienst selbständig. „Da habe ich 11.000 Mark im Monat verdient.“

Doch wann und warum sie anfängt, Leute zu betrügen, erzählt sie nicht. Sie sieht sich als Opfer. Das ältere Ehepaar habe sie nicht um 100.000 Mark geprellt, versichert die Frau. Sie habe den Mann nach einem Schlaganfall betreut. Seine Frau sei von ihrem pflegerischem Können so beeindruckt gewesen, daß sie ihr das Geld gegeben habe.

Nie und nimmer habe sie sich von ihrem Versicherungsvertreter 15.000 Mark geliehen. „Ich habe ihm nur so ein Blankoformular unterschrieben. Den Rest muß er wohl selbst dazu geschrieben haben.“ „Bedroht“ habe sie der Mann, erzählt die Angeklagte. Der Richter wird hellhörig. Ob sie die Einbruchmeldeanlage für über 10.000 Mark (auch nicht bezahlt) vielleicht zum Schutz vor Gläubigern habe einbauen lassen, will er wissen. „Keine Angaben“, sagt die Angeklagte knapp.

Daß sie mit der Kreditkarte vieles bezahlt hat, gibt sie hingegen unumwunden zu. Nur daß sie die Karte erschwindelt haben soll, will die Angeklagte nicht auf sich sitzen lassen: „Ich kriege keine Karte – wegen meiner Situation. Meine Freundin hat für sich selbst und für mich eine Karte beantragt. 2.000 Mark im Monat habe ich ihr gegeben, damit sie die auf das Kreditkarten-Konto einzahlt. Ich kann doch nichts dafür, daß sie das nicht gemacht hat.“

Ob sie tatsächlich nichts dafür kann? „Das ist doch schizophren“, kommentiert der Vorsitzende Richter die Geschichten, die die Angeklagte ihm auftischt, auffallend oft. Die Angeklagte sieht ihn verständnislos an. Warum ist sie so häufig mit dem Taxi gefahren und wohin? „Das weiß ich nicht mehr.“ „Aber das ist doch noch kein Jahr her. Daran erinnert man sich doch?“ Die Angeklagte schüttelt den Kopf. „Und die Klamotten. Wofür brauchten Sie denn soviele Klamotten?“ Die Angeklagte zuckt mit den Achseln. „Haben Sie die verkauft?“ „Nein.“

Nach viereinhalb Stunden wird die Verhandlung unterbrochen. Mit zwei dicken Aktenordnern unterm Arm verläßt die Angeklagte den Gerichtssaal. „Sind das Ihre Akten?“ will ein Justizdiener wissen. „Nein. Das sind die Akten meines Anwalts. Die will ich durchlesen. Ich muß doch wissen, was man hier von mir will.“

Kerstin Schneider