■ Mögliche Orte
: Wombel im Tierpark

Der schönste Berliner Ort ist ohne Zweifel das eigene Bett, besonders bei Regen. Um ein taugliches Nest zu bauen, häufe man eine Steppdecke an die Wand, hülle sich in eine zweite, baue Schachteln mit Pralinen um das Bett herum auf und verlasse es nur zu besonderen Anlässen.

An einem sonnigen Sonntag beispielsweise, um mit seinem Lieblingsmenschen den Berliner Tierpark aufzusuchen. Den Tierpark in Friedrichsfelde/Ostberlin wohlgemerkt, nicht etwa den West-Zoo, wo goldbehangene Tanten mit Pudeln flanieren und sich mit lautstarkem Selbstbewußtsein über Angelegenheiten unterhalten, die einen nicht die Bohne interessieren. Friedrichsfelde hingegen ist ein dezenter Ort.

Tierparkbesucher erkennen sich. Die U-Bahn ist angefüllt mit blondierten Frauen, die ihre beste Steghose angezogen haben und ein stilles Töchterchen bei sich führen. Oma und Opa schieben entliehene Kleinkinder vor sich her. Den verliebten Pärchen ist der Tierparkbesuch ein bißchen peinlich; sie werfen scheue Blicke und kichern. Fast alle Besucher kommen nur wegen der Bären. Die Bären- macke ist weit verbreitet und wenn schon, dann veritabel. Die Leute stehen also am „Bären- schaufenster“, das den Haupteingang des Tierparks flankiert, und diskutieren die Fluchtchancen der Bären, bevor sie, vorbei an Wisent, Sekretär und Hyäne, zum „Alfred-Brehm-Haus“ spazieren.

Interessant ist, daß Mobbing unter Tieren extrem verbreitet ist. Die Zebras zum Beispiel wohnen direkt neben den Löwen, in Rufweite gewissermaßen, nur durch Gitterchen und Steinchen getrennt. Den Löwen ist es nun ein – wie man im Osten sagte – „innerer Vorbeimarsch“, mithin ein Triumph, hin und wieder ein gruseliges Brüllen in Richtung der Zebras zu schicken. Die Zebras erwidern das Brüllen mit höhnischem Quieken. Ich frage mich, ob der Berliner Tierpark einen speziell ausgebildeten Psychoanalytiker beschäftigt, der den Tieren hilft, ihre Traumata zu verarbeiten. Vermutlich nicht, denn die Therapie fortgeschrittener Neurosen ist etwas für reiche Anstalten. Der Tierpark hingegen ist arm, was man daran erkennt, daß er statt Löwen derzeit nur Mäuse ankauft.

Im Alfred-Brehm-Haus tummeln sich schnittige Jaguare, windesschnelle Geparden, hinterhältige Pumas und hochelegante Panther, wobei ich die beiden letzteren nicht zu unterscheiden imstande bin. „Pumas haben einen eckigeren Kopf“, weiß mein XY ungelöst, kann es jedoch nicht schlüssig beweisen. Weswegen ich mich dem malaiischen Palmenroller zuwende, einer wilden Kleinkatze (kleinen Wildkatze?), die fast so niedlich ist wie der vergnügte Katzenbär links außen, der mein ideales Lieblingstier abgeben könnte, wenn es ihn denn in „Rudi's Tier-Center“ um die Ecke zu kaufen gäbe. Die Tiger trollen sich faul im Gehege, einem ist Isolationshaft aufgebrummt worden. „Die ist schwanger“, erklärt mir mein Zweibeiner. „Trächtig“, widerspreche ich, „Tiere sind nicht schwanger“, während wir Kurs auf die Imbißbude halten, denn der Berliner Tierpark ist womöglich der letzte Berliner Ort, wo die Bratwürste noch zu siebzig Prozent aus Fett und zu dreißig aus Senfmehl bestehen. Wir kaufen sechs Tierparklose. Jede Niete hebt unsere Laune. „Ich bin schon ein bißchen erholt“, flöte ich meinem Allzeit-begleiter ins Jackett.

Vor dem Eisbärengehege ringelt sich ein junger Mann mit Schläfenrasur und Pferdeschwanz um die Taille seiner Freundin. „Eisbären sind die gefährlichsten Bären überhaupt“, knurrt er ihr ins Öhrchen, sie kichert, und alle, die es gehört haben, kichern auch. Der Eisbär im Wasser macht noch ein paar Schwimmzüge, schüttelt seinen kleinen Eisbärenkopf, krault cool ans Ufer und hievt zwei Meter und vier Zentner Eisbärenkörper aus dem Wasser. Die anderen Eisbären verkrümeln sich hurtig in die vorhandenen Ecken. Ein hochbetagtes Ehepaar scharrt unerlaubterweise mit seinen Spazierstöcken im Vogelkäfig — „Gemein!“ —, und ein stolzer Vater hebt einen winzigen Wombel in blauer Latzhose in die Luft. Der Wombel juchzt und kreischt vor Glück. Warum haben Babys in Latzhosen nur immer so zum Galle-Husten perfekte O- Beine?

Am Ausgang kaufe ich zwei Tierparkpostkarten zu fünfzig Pfennig das Stück. Eine zeigt den kleinen Katzenbären, die andere eine Löwin mit Löwenjungen. „Was willst du denn damit“, stöhnt mein Lieblingsmensch, und glücklich humpeln wir zur U-Bahn. Anke Westphal