Landwirtschaftisierung der Medien

■ Brüssel und die europäische Filmförderung: Die französischen Branchenvertreter, bekannt als energische Protektionisten, haben den länderübergreifenden Hamburger Filmverleih durch einen Coup zentralisiert

Noch ein Krimi aus Brüssel. Nach acht Jahren erfolgreicher Arbeit muß das in Hamburg ansässige Europäische Filmbüro EFDO (European Film Distribution Office) jetzt die Vertriebsförderung für europäische Kinofilme nach Brüssel abgeben. In Zukunft, so entschieden die EU-Kultur- und Wirtschaftsvertreter, wird die Förderung des Filmvertriebs zentral von Brüssel aus gemanagt. „Das war ein schwarzer Tag für MEDIA“, kommmentierte Max Dehmel, der Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums in Bonn die Situation.

Tatsächlich wird mit diesem Beschluß eine Initiative zerschlagen, die in der Filmbranche europaweite Anerkennung fand. EFDO galt als das erfolgreichste Projekt des MEDIA-Programms zur Förderung der audiovisuellen Industrie in Europa. Seltsamerweise wird nun auf das Know-how ausgerechnet dieses erfahrenen Teams verzichtet. „In Brüssel ist wohl das audiovisuelle BSE ausgebrochen“, erregte sich EFDO-Präsident Dieter Kosslick.

Gerade Independents profitierten

Immerhin verhalf das Europäische Filmbüro in den letzten acht Jahren über 250 europäischen Filmen zum Kinostart in 18 europäischen Ländern. Filmverleiher, die gemeinsam Filme aus den europäischen Ländern in die Kinos brachten, wurden dabei nach einem ausgeklügelten System mit EU-Geldern unterstützt.

Davon profitierten insbesondere viele unabhängige und kleinere Verleiher, denen sonst das Risiko zu groß gewesen wäre, mit Filmen wie „Man Bites Dog“, „The Snapper“ und „No Smoking“ an der Kinokasse anzutreten. Auch deutsche Filme wie „Abgeschminkt“, „Kaspar Hauser“ oder „Lisbon Story“ wurden in bis zu elf europäischen Nachbarländern gleichzeitig auf die Leinwand gebracht.

Die Idee, den Kinovertrieb nationaler Filme in Europa mit Förderungsmitteln anzukurbeln, entstand 1986 auf dem Europäischen Low Budget Film Forum in Hamburg aus Ärger über die altbekannte Tatsache, daß über achtzig Prozent aller Kinofilme in Europa von US-Majors stammen, während die meisten europäischen Filme fast nie die Grenzen ihres Heimatlandes überschreiten. Nachdem Filmprofessionelle aus ganz Europa gemeinsam ein Förderungskonzept erarbeiteten, wurde EFDO 1988 als MEDIA-Projekt in Hamburg etabliert. In dieser Pilotphase formierten sich auch in den anderen europäischen Ländern verschiedene MEDIA-Projekte, die von der Ausbildung bis hin zur Videovertriebsförderung reichten. Im Zeitraum von 1990 bis 1995 schwoll das MEDIA-Programm auf knapp zwanzig Initiativen an, was dazu führte, daß die drei Bereiche Ausbildung, Entwicklung und Vertrieb gestrafft wurden. Für MEDIA II waren deshalb alle Projekte aufgefordert, sich neu in Brüssel zu bewerben.

Der dickste Brocken, den der MEDIA-Chef Jacques Delmoly zu vergeben hatte, war der Vertriebsbereich mit 570 Millionen Mark für den Zeitraum von 1996 bis zum Jahr 2000. „Die Franzosen werden versuchen“, so warnte Dieter Kosslick bereits vor einem Jahr, „den Vertriebsbereich an sich zu reißen.“

Zusammenlegung jetzt!

Aus diesem Grunde entschied EFDO, sich mit den anderen Anwärtern für den Vertriebsbereich zu einem Konsortium zusammenzuschließen. Neben den Franzosen gehörte dazu auch EVE, die Videovertriebsförderung in Dublin, dazu, aber auch die in München ansässige Fernsehvertriebsförderung GRECO. Doch ihr gemeinsamer Vorschlag, Büros in Hamburg, Brüssel, Paris, Dublin und München zusammenzulegen, wurde von der Europäischen Kommission aus Kostengründen abgeschmettert. „Die Kommission trifft nur noch vorrangig politische, aber keine professionellen Entscheidungen mehr“, kritisierte die EFDO-Geschäftsführerin Ute Schneider. „Der Druck der Franzosen auf Brüssel zielt vor allem auf die Kinovertriebsförderung in Hamburg ab.“

Indem die Kommission eine Reduzierung auf drei Büros verlangte, zwang sie die Konsortiums- Partner förmlich dazu, als Konkurrenten gegeneinander anzutreten. Daraufhin schlossen sich einige Hamburger EFDO-Mitarbeiter mit einem internationalem Team unter dem Namen SEDIF zusammen und boten an, die Verwaltung des Kinovertriebs in Hamburg und die Vertriebszentrale, aber auch die Abwicklung des Video- und Fernsehvertriebs in Brüssel vorzunehmen. Das Münchner GRECO- Team ging dagegen eine Liaison mit den irischen Videovertriebsförderern ein. Unter dem Konsortiums-Titel D+S schlugen sie vor, sowohl die Vertriebszentrale als auch den Kinovertrieb in Brüssel zu etablieren und durch weitere Büros in München und Dublin zu ergänzen.

Bevor die Mitglieder des MEDIA-Komitees über die Verwaltung des Vertriebsbereichs zu entscheiden hatten, erhielten sie ein Empfehlungsschreiben von der Europäischen Kommission. In diesem Papier wurde die Bewerbung des D+S-Konsortiums unter anderem mit der Begründung präferiert, daß es SEDIF an Kompetenz im Videovertriebsbereich fehle. „Diese Vorhaltung ist grotesk falsch“, berichtet der SEDIF-Gesellschafter Josef Wutz. „SEDIF hatte dafür zwei Kollegen verpflichtet, die jahrelang in leitenden Positionen bei zwei Weltvertriebsfirmen gearbeitet haben.“ Auch der zweite Kritikpunkt der Kommission, eine der SEDIF-Leiterinnen stehe nicht sofort zur Verfügung, wurde laut Wutz „an den Haaren herbeigezogen“. Die Ländervertreter hielten sich jedoch brav an die Kommissions-Empfehlung. Mit den Enthaltungen von Deutschland, Österreich und Portugal stimmte das MEDIA-Komitee mehrheitlich für das D+S- Konsortium.

Vorgeführt wie Schuljungs

Kurioserweise sind jetzt tatsächlich zwei Französinnen in Brüssel mit der Verwaltung des Kinovertriebs beauftragt worden, womit sich die Befürchtungen des EFDO-Präsidenten bewahrheitet haben. „Das MEDIA-Komitee hat sich von der Kommission wie kleine Schuljungs vorführen lassen“, meint der Chef der Hamburger Filmförderung, Alfred Hürmer, welcher den verantwortlichen MEDIA-Leiter Jacques Delmoly nun „Mr. Delmoly-tian-Man“ nennt, weil dieser rücksichtlos die französischen Interessen in Brüssel durchgesetzt habe.

Die französische Dominanz bei MEDIA ist in der Tat auffällig. Im Bereich der Projektentwicklung steht zum Beispiel die Hälfte der Förderungsgelder für gemeinsame Vorhaben von Firmengruppierungen bereit. Die Verwaltung dafür wurde den drei französischsprachigen MEDIA-Initiativen MAP-TV, Cartoon und dem früheren MEDIA Investment Club übertragen. Das gleiche Bild bietet sich auch bei der Kinoförderung. Von den 3,5 Mio. Ecu, die dafür 1996 vergeben wurden, bekam der Franzose Claude-Eric Poiroux mit einer Initiative Europa Cinemas den Löwenanteil (3 Mio. Ecu).

Um die Aus- und Rückzahlung der Fördergelder kümmert sich künftig die intermediäre Organisation „Management und Finanzierung“. Den Zuschlag für diese Schaltstelle erhielt das Konsortium GCC Equation, ein Zusammenschluß aus Franzosen, Belgiern und Engländern. Neben den strukturellen und personellen Veränderungen, die MEDIA II der Branche beschert, hat die Europäische Kommission auch inhaltlich zugeschlagen. Die Kinovertriebsförderung für Verleiher soll höher ausfallen, wenn diese gleich mehrere Filme gemeinsam ins Kino bringen. „Diese Richtlinien richten sich gegen unabhängige Verleiher“, konstatiert Karl Baumgartner von Pandora Film in Frankfurt. „Die Filme ,Breaking The Waves‘, ,Der achte Tag‘ oder ,Secret Lies‘, die wir in Cannes präsentiert haben, werden in Frankreich und Italien zum Beispiel von unterschiedlichen Verleihern ins Kino gebracht.“ Eine feste Partnerschaft mit einem anderen Verleih hieße jedoch, Individualität und Unabhängigkeit aufzugeben. „Dann könnten wir unsere Filme nicht mehr frei auswählen.“

Auch die Regelung, daß ein Drittel der Vertriebsmittel für gemeinsame Werbeaktivitäten ausgegeben werden sollen, lehnen die meisten Verleiher ab. „Das führt zu einer Landwirtschaftisierung der Medien“, befürchtet Stephan Hutter vom Münchner Prokino- Verleih. „Die Verleiher werden sich nur noch darüber streiten, wer das meiste Geld bekommt.“

Aufgrund der massiven Kritik aus der Branche sollen die Richtlinien für den Kinovertrieb nach der Sommerpause noch einmal überarbeitet werden. Währenddessen zeigt das Europäische Filmbüro, das weiterhin bestehen bleibt, wie die Promotion von europäischen Filmen außerhalb der EU aussehen könnte. „Unter dem Label ,EFDO abroad‘“, so die neue EFDO-Geschäftsführerin Renate Rose, „werden wir im September europäische Filme auf dem Filmfestival in Toronto präsentieren.“ Für diese Aktion hat MEDIA bereits seine finanzielle Unterstützung zugesagt. Birgit Heidsiek