Dinos im Cyberspace

■ Das Netz des Online-Dienstes „America Online“ brach 19 Stunden lang zusammen

Vienna/Berlin (rtr/taz) – Auch in der virtuellen Welt leben Dinosaurier. Einer von ihnen ist der Online-Dienst „America Online“ (AOL) mit seinen sechs Millionen Kunden in aller Welt. Gestern ist der Riese zusammengekracht. Sein Großrechner hat sich verabschiedet, als die Techniker eine neue, kundenfreundlichere Server-Software installieren wollten. Es gelang ihnen 19 Stunden lang nicht, die Maschine wieder in Gang zu setzen.

Die Schäden wegen entgangener Online-Geschäfte dürften in die Millionen gehen. Kunden, die ihren E-Mail-Partnern plötzlich wieder Faxe zuschicken mußten, fühlten sich in „prähistorische Zeiten“ zurückversetzt. „Es war ein schlechter Tag für uns alle“, ließ danach der Geschäftsführer Stephen Case in einem nun wieder über das AOL-Netz versandten Rundschreiben wissen. Die Börse reagierte mit eine Kurseinbruch der America-Online-Papiere, die New Yorker Geschäftswelt macht sich seit diesem Tag Gedanken, ob die großen Online-Dienste mit ihrem eigenen Wachstum noch fertig werden.

Die Auflösung der großen Online-Dienste hat begonnen. CompuServe, mit etwa vier Millionen Kunden weltweit die Nummer zwei hinter AOL, hat bereits die Konsequenz gezogen, und stellt seine Technik schrittweise auf den Standard des Internet um. Der Absturz von AOL offenbart die grundsätzliche Schwäche von Systemen, die mit einem einzigen Rechner Millionen von Kunden bedienen. Ein kleiner Fehler kann verheerende Schäden anrichten, ganz anders als im Internet, das heute aus mehreren Millionen miteinander verbundener Rechner besteht. Der Ausfall eines Knotens ist nur eine lokale Störung, die Funktion des Gesamtnetzes ist davon kaum berührt.

Die vielen hundert kleinen Firmen, die allein in den USA einer jeweils kleinen Kundenzahl Zugang zu diesem außerdordentlich stabilen Netz verschaffen, können eine weit höhere Betriebsicherheit bieten als die großen Online-Dienste. Trotzdem haben auch die Dinosaurier kräftig vom Boom des Internet profitiert. AOL meldete bis zu 20.000 Neuanmeldungen pro Tag. Allzuglücklich scheinen seine Kunden aber nicht geworden zu sein. Etwa die Hälfte kündigte ihren Netzgang wieder, wenn die paar Stunden verbraucht waren, in denen sie umsonst in der Datenwelt reisen durften.

Geschäftsführer Stephen Case hat denn auch schon eine Änderung seiner Geschäftspolitik angekündigt. Er will die Werbeangebote für Neueinsteiger beschränken und mehr Wert auf die Pflege treuer Kunden legen: „Wir wollen auf den kurzfristigen Profit zugunsten einer langfristigen Marktführung verzichten.“ Falls das der Rechner mitmacht ... Niklaus Hablützel