Schlager-Sentenzen

■ Ulf Poschardt las im Kunstverein aus seinem Werk „DJ Culture“ – und reproduzierte weiter rockistische Mythen

Anwesenheitspflicht. Als der selbstinstallierte Pop-Forscher Ulf Poschardt am Donnerstag in den Kunstverein lud, waren mehr Hipster zugegen, als es Lesende im Literaturbetrieb sonst gewohnt sind. Der Journalist und „Ersatz-DJ“ – inzwischen in die Chefredaktion des SZ-Magazins aufgerückt – schickte sich an, einen „klärenden Nachtrag“ zu seiner kürzlich bei Rogner & Bernhard erschienenen und bei Friedrich Kittler vorgelegten Doktorarbeit kundzutun. So weit so gut, war doch seine ausführliche DJ-Geschichte heftig attackiert worden.

Hatte Poschardt den historischen Teil seiner Mythologie des DJs munter bei den Standardwerken von David Toop bis David Dufresne abgekupfert, borgte er seinen Ansatz von Greil Marcus aus. Denn wie Marcus, der in Lipstick traces Punk in eine Linie mit diversen Avantgarde-Bewegungen stellte, versucht dies Poschardt in DJ Culture, benannt nach einem Hit der Pet Shop Boys, mit den Plattendrehern. Doch dabei gehen beide in die Knie: der DJ und die Denker.

Denn Poschardt schleppt, auch wenn er sie am Ende seines Buchs müde problematisiert, eine Fülle von fragwürdigen Konzepten der Moderne mit wie Kultur-Avantgarde, Underground und Revolution. Daneben werden in seinem extended Mega-Medley Hegel, Serres und Nietzsche in einem Schwung zu fröhlichen Wissenschaftlern, deren „reflexive Euphorie“ unter Poschardts Crossfader zu schlagertauglichen Sentenzen gerinnt, wie: „Musik ist mehr Geliebte als es ein Text jemals sein kann, weil sie direkt mit dem Herz spricht.“

Das alles und vieles mehr – so konnte man erwarten – sollte der neuerliche Remix klären. Statt dessen machte Poschardt aber genau da weiter und nahm sich mythenschaffend mit der Baßgitarre eine neue Geliebte zu Herzen. Doch mit seiner verquasten Mischung aus Waschzettel-Prosa („Sexyness des Funk“) und philosophischem Zettelkasten verstieg er sich in sorglose Stilblüten wie eine „auratisch-erotische Baßline“, um allenfalls unfreiwilligen Humor auszulösen. Immerhin ließ sich dergestalt ein Abend verbringen, bei dem, außer ein paar Schmankerln von George Clinton, garantiert nichts Neues zu erfahren war.

Natürlich trifft Poschardt mit seinem Projekt bei den Besserwissern aus der Musik-Intelligenzia, die um strategische Diskurspositionen buhlen, allein deshalb auf Ressentiments, weil mancher Kritiker dieses Buch gerne selbst geschrieben hätte.

Andererseits trotzte der Journalist dem universitären Betrieb mit einer Arbeit über Jugendkultur immerhin einen akademischen Grad ab, was manchem Popvordenker doch Mut machen müßte. Doch das ist kaum mehr als eine Formalie. Denn was hätte nicht alles in diesem wohl noch ein paar Jahre als Standardwerk über DJ-Kultur gehandelten Buch gestanden, hätte es ein anderer geschrieben?

Volker Marquardt