Debatte
: „Ein Platz für Punks“

■ Punks wurden zu Spielverderbern an unserem grausamen Gesellschaftsspiel

Punks im Ostertor und anderswo – was tun? „Der Sumpf muß zerschlagen werden“; so gab mit einem schiefen Bild in diesen Tagen ein CDU-Politiker selten offenherzig die Richtung an. Schließlich sind die grellen Punk-Farben störende Flecken im heilen Weltbild des ordentlichen Bürgers. Noch einmal Originalton jenes CDU-Saubermanns: die Punks müssen umgesiedelt werden!

Als Senator halte ich nichts von solchen Hetzereien. Vielmehr müssen wir uns fragen lassen, wo es denn bei uns drückt, wenn wir mit Punks Probleme haben. Und plötzlich kommen wir über Äußerlichkeiten von Frisur und Farbe zu der Substanz: Wie hält es die Mehrheitsgesellschaft mit den Minderheiten, was machen wir mit den Aussteiger- und Protestbewegungen, die den Widersprüchen unserer Alltagsgesellschaft entwachsen?

Keine Lehrstellen, keine Arbeitsmöglichkeiten, Hochrüstung und Umweltdreck: Vor diesem Hintergrund wünschen wir uns eine ruhige und brave Jugend, die sich glauben machen läßt, sie trüge den Marschallstab immer noch im Tornister (wie man Zukunfts-Hoffnung früher militärisch benannte).

Wir „Erwachsenen“; wir „Etablierten“ haben uns längst gewöhnt (und wichtiger wohl noch: sind gewöhnt worden) an die Brüche und Widersprüche unserer Gesellschaft. Deswegen wehe dem, der den mühsam vorgespiegelten heilen Schein zu zersetzen droht! Weg, weg mit ihm in irgendeine Randkolonie, Hauptsache weit weg!

Ich halte nichts von solchen Billigmachern. Punks (so wir denn durch ihre Andersartigkeit provoziert werden, von einem Problem zu sprechen beginnen) kommen nicht aus dem luftleeren Raum. Sie haben Eltern und sie haben ein gesellschaftliches Umfeld! An beiden konnten sie den tiefen Widerspruch zwischen behauptetem Schein und realem Sein entdecken. Und darüber wurden sie zu Spielverderbern an unserem grausamen Gesellschaftsspiel.

Auf jeden entsetzt ausgestreckten Finger „auf diese Typen“ kommt eine ganze Hand, die auf den Zeiger zurückweist. Und da sind eine Unmenge Fragen, die die Punks uns zu stellen haben. Selbstgerechte Empörung geht nicht durch – wer über Punks reden will, muß beginnen, von sich zu sprechen und gegen sich zu fragen.

Wie bitte organisieren wir eine Gesellschaft, die statt Ausgrenzung von immer mehr an den Rand gedrückten Gruppen Teilhabe an Zukunft anbietet? Wo bleiben Lehrstellen, wo gibt es Aufgeschlossenheit für andere? Die Überzeugungskraft unserer traditionellen Antworten erscheint mir gelinde gesagt gering geworden zu sein in den letzten Jahren.

Das Punk-Problem wird in solchem Licht betrachtet nur zu einer für uns unangenehmen, kurzen Frage: Was tun wir, um ihnen Platz und Zukunft zu geben? Henning Scherf

Vorwort zu Klaus Hering: „Punx, wir kuscheln die Szene kaputt“, Bremen 1984