Die Rüstungsspirale dreht sich weiter ...

■ Fahrradsicherungssysteme boomen, aber nicht alle schützen das Velo effektiv

Früher war das Leben sicherer und vor allem billiger. So denken wir noch manchmal zurück an die Zeiten, als wir noch nicht mit der Geißel des organisierten, hochtechnisierten Fahrraddiebstahls geschlagen waren. Heute werden jährlich über eine halbe Million Fahrräder als gestohlen gemeldet. Den Dieben ist dabei nichts heilig: Der rüstigen Oma wird das Damenrad ohne Gangschaltung genauso geklaut wie dem Marketingleiter sein Edelbike mit Titanrahmen und ABS. Die klapprigste „Gehhilfe“ ist nicht sicher vor den Klauen der Klauer: Fahrraddiebstahl kennt etwa soviel soziale Rücksichtnahme wie das Wetter. Und da zudem Versicherungen ungern Ersatz beim Fahrraddiebstahl leisten, muß jeder selbst sehen, wie er sich gegen ihn schützt – im Lauf der Jahre mußte dazu immer schwereres Geschütz aufgefahren werden.

Als ich Ende der siebziger Jahre in die Grundschule ging, sicherte man sein Fahrrad noch, indem man am Hinterrad einen blechernen Bolzen als Wegfahrsperre zwischen die Speichen schob, der sich schon mit einem mäßigen Fußtritt so verbiegen ließ, daß das Rad wieder startklar war. Schon seit Jahren werden diese „Schlösser“, die damals aus der Volksrepublik China importiert wurden, nicht einmal mehr eingebaut. Nostalgiker zahlen inzwischen Liebhaberpreise für solcherlei Reliquie. Auch sind die Zeiten sensibler Zahlenschlösser vorbei, die mittels einer dreistelligen Ziffernkombination gesichert wurden – hatte doch nach kurzer Zeit jeder Depp herausgefunden, daß diese sich ganz ohne Gewaltanwendung öffnen ließen, indem man sich durch leichtes Wackeln an den Rädchen die richtige Kombination erfühlte.

In den Neunzigern muß – zumal im Moloch Großstadt – schwereres Geschütz aufgefahren werden. Die Industrie hält für den verzweifelten Nochfahrradbesitzer eine verwirrende Palette von Systemen bereit. Es gibt Bügelschlösser in langer und kurzer Version, Spiralschlösser, stahlummantelte Kabelschlösser, Kettenschlösser sowie Schlösser mit Alarmsirene. Die Rüstungsspirale zwischen Fahrraddieben und Fahrradabschließern dreht sich ständig weiter.

So sieht sich denn auch die Stiftung Warentest in regelmäßigen Abständen immer wieder aufs neue genötigt, die jeweils letzten Kreationen der Schloßhersteller auf ihre Tauglichkeit zu überprüfen. Die jüngsten Testergebnisse lassen sich im test-Heft 3/96 nachlesen. Dazu wurde eine Spezialistenfirma beauftragt, sich an gängigen Typen von Fahrradschlössern abzuarbeiten. Es wurde gezogen, gezerrt, gestemmt, geflext, geschliffen und gebohrt, mit Haarnadeln gefummelt, gehämmert und fachmännisch entsperrt. Die Profis waren angewiesen, mit jedweder Methode nicht vor Verstreichen einer Stunde von den Schlössern zu lassen und bei der Wahl der Werkzeuge gerade auch neue Entwicklungen einzusetzen.

Nun sollte man beim Kauf eines Fahrradschlosses aber nicht allein auf die Aufbruchsicherheit achten. Man sollte auch Details berücksichtigen, die im Alltagsgebrauch nervtötend sein können: Kann man beim Hersteller Ersatzschlüssel bestellen, wenn man den eigenen verliert? Wie stabil sind die Schlüssel? Gibt es eine Halterung für das Schloß? Bekommt man das Ding im Dunkeln noch auf? Ist das Schloß korrosionsgeschützt? Auch solche Kriterien wurden von den Warentestern berücksichtigt. Im Test waren 36 Schlösser, die zwischen 25 Mark und 180 Mark kosteten. Am besten schnitten (trotz ihrer oft bemängelten Unhandlichkeit) die starren Bügelschlösser ab. Unter ihnen waren sämtliche Schlösser, die mit „sehr gut“ abschnitten, nur eines dieser Modelle wurde mit „mangelhaft“ bewertet. Zudem zeigt sich wieder einmal, daß die Orientierung am Preis keine Rückschlüsse auf die Qualität zuläßt: Das billigste sehr gute Schloß ist schon für etwa 45 Mark zu haben.

Kabelschlösser sind hingegen durchweg leichter zu knacken. Besonders wird vor dünnen Kabelschlössern (egal ob Spirale oder glatt) gewarnt – siebenmal lautete hier der gnadenlose Urteilsspruch „sehr mangelhaft“. Die besten Kabelschlösser kamen über ein „zufriedenstellend“ nicht hinaus: Dies sind immerhin einige der als Halsschmuck beliebten, bockwurstdicken Kabelschlösser mit Stahlummantelung.

Die Verlierer der Tests sind die Schlösser mit Alarmfunktion. Dabei wurde noch nicht einmal bedacht, was schon von Autoalarmen bekannt ist: daß sich nämlich niemand um das Fahrzeug kümmert, das nervös piept. Nein, meistens ließen sich diese Schlösser besonders leicht knacken und blieben dann flötend liegen. Vermutlich lenken sie so auch noch vom flüchtenden Dieb ab ...

Tröstende Worte finden die Warentester für all diejenigen, die beim Lesen der Testergebnisse feststellen, daß ihr (womöglich teuer erstandenes) Schloß gerade mal dem Haarnadeltest standgehalten hat (das haben immerhin alle): Man könne sich ja ein gutes, neues Schloß anschaffen und das alte dann immer noch als Zweitschloß weiterverwenden. Ein Spiralschloß um Sattel und Rahmen hier, ein stahlummanteltes ans Hinterrad dort – vielleicht noch eins an den Gepäckträger? Zuviel abschließen kann man gar nicht. Mir wurde sogar einmal nur eine Klingel geklaut. Martin Kaluza