Wand und Boden
: Die einen sind Mist

■ Kunst in Berlin jetzt: Strandgut, Künstlerbücher, Martin v. Ostrowski

Sobald man die braunen Barrieren passiert hat, die Patrick Corillon U-Bahn-Sperren nachgebaut hat, und sobald man im Studio 1 des Künstlerhauses Bethanien gelandet ist, meint man, in einem unaufgeräumten Kinderzimmer zu stehen. Ist alles so schön bunt hier! Andererseits sind Kinderzimmer nicht jedermanns Sache. Vor allem Arnaud Labelle-Rojoux hat mit „Wieviel für den kleinen Hund im Schaufenster?“ (1996) ein Warenlager aus Dingen, Worten und Bildern zusammengetragen.

Allein sein Sammeleifer rechtfertigt den Ausstellungstitel „Die Räuber des Strandguts“, unter dem sich sechs französische Künstler und Künstlerinnen in Berlin präsentieren. Der Titel will sagen, daß es ganz verschiedene Formen der Strandräuberei gibt, die angeblich mit jeweils ähnlich ansetzenden Kunstpraktiken korrespondieren. Doch seine Tücke wird offenbar, wenn zum Aufbringen von küstennahen Schiffen, zum Heraufholen von Versunkenem kaum ein analoges künstlerisches Vorgehen zu entdecken ist, dafür aber das Sammeln von angeschwemmtem, herrenlosen Geraffel ganz offensichtlich überwiegt.

Mit Kritik ist allerdings Vorsicht geboten, immerhin werden Camille Saint Jacques, David Renaud, Valérie Favre, Anne Deguelles, Patrick Corillon und Ghada Amers von einer ganzen Phalanx französischer Schriftsteller wortreich verteidigt. Anhand der Arbeiten von Anne Deguelles erklärt uns Jacques Roubaud, daß es um die Unterscheidung von Piktionen (!?) und Bildern geht. Die einen sind Mist, die anderen wahre Kunst, weil sie „unsere inneren Bilder aufleben lassen“ (!?). Ersichtlich ist der ganze Traktat ebenso unerheblich wie aufgeblasen – und langwierig dazu. Vielleicht stickt Ghada Amers Bilder, aber in der Wirrnis dieser Ausstellung ist das gar nicht so leicht zu sagen. Der sympathischste Text stammt von Olivier Cadiot. Zumindest wenn man nur den ersten Satz liest: „Räum dein Zimmer auf.“

Bis 1. 9., Mi–So 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2, Kreuzberg

Die russischen und ukrainischen Künstler in der ifa-Galerie haben in den Jahren von 1988 bis 1996 das Künstlerbuch ebenfalls nicht neu erfunden. Aber es wird in der Ausstellung auch kein Riesenaufstand um die überschaubaren 45 Objekte gemacht, die Reinhard Grüner, ein Studienrat aus Fürstenfeldbruck gesammelt hat. Sie sind sorgsam und, soweit technisch möglich, so ausgelegt, daß der Besucher den Aufbau und die Architektur des Buches ersehen kann. Gleich zu Beginn gibt es den ganz raffinierten Fall von Sergej Yakunin, in dessen sprechendem Buch „Tod Liebe“ sich kinematische Einbauten finden, die lange Bildstreifen in Bewegung setzen; eine Klingelanlage soll funktionieren, und eine kistenförmige Seite birgt Masken unterschiedlicher russischer Charaktere.

Das Buch gehört in einen Schuber, der wie ein Pilotenkoffer gebaut ist und in dessen Deckel eine Marionette steckt, die durch eine Kurbel zum Tanzen gebracht wird. Natürlich haftet solchen trickreichen, aufwendigen Konstruktionen der Hauch von Kunstgewerbe an. Doch das Spiel mit der Nostalgie, mit dem Sentiment, mit der Puppenstube ist ein Thema dieser Bücher.

Ekaterina Michailovsky gewinnt daraus bezaubernde Pornographien, die sie im zeichnerischen Gestus der Jahrhundertwende aufs Papier bringt, mit farbigen Stoffapplikationen versieht und einer Perle auf dem Einband: „Meine(!) liebe Dr. Freud“. Michail Karasik schmuggelt Timur Kibirovs Textleporello „Schneesturm“ in einer Wodkaflasche über die Grenzen von Ländern und Buchformaten. Weniger literarisch und dinghaft inszeniert Michael Lejen sein Künstlerbuch als Loseblattsammlung. Seine Registratur mit Zeichnungen, Notizen und Fotografien kommt ohne großartige Reminiszenzen aus und zeigt das moderne, aktuelle Gesicht des künstlerischen Buchgewerbes.

Bis 8. 9., Di–So 14–19 Uhr, Friedrichstraße 103, Mitte

Zurück! Glänzend! Sauber! Modern! Frisch! Jung! — Diese Direktiven gelten nicht der Kunst, sondern dem Haar, das derzeit straff aus dem Gesicht gekämmt, in einem Pferdeschwanz oder Knoten enden muß. Modisch gesprochen. Sie ließen sich aber auch auf die Bilder Martin von Ostrowskis anwenden: Zurück zum Abbild, glänzender, leuchtend-transparenter, sehr flacher Farbauftrag, sehr sauber (aber kunstlos) gemalt. Und tatsächlich wirkt der Ostrowski-Pop in der Galerie Nikolaus Sonne modern, frisch und jung. Und modisch — im provokativen Sinne.

Man muß „Romeo und Julia“ nicht mögen, das Pathos dieser Bilder liegt aber sympathischerweise nicht im Handwerklichen, also dem bedenkenlosen Malen. Es liegt im Motivischen, im Klischee, bei Romeo, dem muskulösen Narziß mit dem Maschinengewehr, und bei Julia, der Frau mit der Katze. Doch da sie auch mit der Pistole umgehen kann und Schmetterlinge junge Männer umschwirren, die hinter einem Strauß von Tulpen auftauchen, geht das in Ordnung.

Dem Malen steht Ostrowski reflektiert-reserviert gegenüber. Der Verweis auf graphische Techniken, auf den monochromen Siebdruck und auf die Fotografie, auf lange Belichtungszeiten, auf Solarisation, auf Montage und filmische Überblendung, auf Quadrierung, Hoch- und Querformat, all das ist malerisch treffend im Bild rekonstruiert, zitiert und dekonstruiert.

Die gefährlich kühle, glatte Anordnung soll in den blind auf die Wand gepinselten Motiven einen Bruch erfahren, doch wirkt das nicht sonderlich zwingend. Das schrille Gelb und Deckenrot als Hintergrund und Umfeld der Bilder trifft das aggressive Moment der Bilder weit besser.

Bis 30. 8., Di–Fr 15–18.30 Uhr, Kantstraße 138, Charlottenburg Brigitte Werneburg