Nur die Pappe haben zählt

JedeR dritte BerlinerIn schafft den Führerschein erst in der Wiederholung. Streßfreier soll es in Brandenburg sein. Der TÜV jedoch warnt vor Dumpingangeboten  ■ Von Kathi Seefeld

Irgendwann gibt es einen Grund. Selbst in den „Gelben Seiten“ folgen den „Fahrrädern“ die „Fahrschulen“. Und letztere findet man in Berlin bekanntlich zuhauf. Alle werben damit, einem sicher, vor allem schnell und preiswert zum Führerschein zu verhelfen. Doch die Zahl jener (Ich grüße alle meine Freundinnen!), die so ihre Erfahrungen mit „preiswert, schnell und sicher“ gemacht haben, spricht für sich. Etwa jedeR Dritte ist beim ersten Mal durchgefallen. Andere sind nach über 50 Stunden hinter dem Lenkrad an den Rand ihres Haushaltetats gelangt, ohne sich überhaupt an eine Prüfungsfahrt gewagt zu haben. Und wieder andere befällt noch Jahre danach die Panik, wenn sie bedenken, wie es ihnen gelang, mit Tempo 50 auf dem vierspurigen Kaiserdamm von der äußeren rechten Spur nach links zu wechseln, während alle Nichtprüflinge mit Tempo 70 an ihnen vorüberzogen.

Nerven und Geld, in Berlin läßt man auf dem Weg zum Führerschein beides. Obwohl Ernst Becker, Pressesprecher des TÜV Berlin Brandenburg, gegenüber der taz versicherte: „Die Durchfallerquote in der Stadt ist erheblich zurückgegangen.“ Vor ein paar Jahren hatte man bundesweit betrachtet hier die besten Chancen, nicht zu bestehen. „Mittlerweile liegen wir auf Rang drei.“

Darüber, weshalb FahrschülerInnen versagen, gibt es die verschiedensten Auffassungen, angefangen mit der, daß der Fahrlehrer ein Versager sei. „Der Fahrlehrer ist in der Regel der letzte, der den Schüler zur Prüfung drängt. Er will schließlich an ihm Geld verdienen“, meint dagegen Ernst Becker. „Die Schüler überschätzen ihre Fähigkeiten. Unter Streß treten bei der Prüfung alle Schwächen zutage, die während der Ausbildung gar nicht deutlich waren.“ Nach Aussagen Peter Glowallas, Vorsitzender des Fahrlehrerverbandes, passiert das meistens beim Einfädeln in den Kreisverkehr, wenn es um die Vorfahrt an gleichberechtigten Straßen geht oder wenn Radwege nicht ausreichend beachtet werden.

Die Deutschen, wundert sich Becker, offenbarten bereits in der Fahrschule ihr ohnehin merkwürdiges Verhältnis zum Auto. „Überall gibt man damit an, wie viele Stunden man diesen oder jenen Kurs belegt habe, um zu beweisen, wie gut man nun sei. Nur beim Autofahren-Lernen will niemand letztlich fahren können, sondern er will nur die Pappe.“ Am Schlimmsten seien jene Schüler dran, die sich eine finanzielle Grenze setzen, so der TÜV-Sprecher. „Wenn der Vater seinem Sohn 1.500 Mark rüberreicht und dieser unter dem Druck steht, mit dem Geld auch zum Führerschein zu kommen, geht das natürlich schief.“

Im Ostteil Berlins und Brandenburg stünden besonders Frauen um die 40 unter Erfolgszwang. „Früher, da fuhr doch meist nur der Papa mit dem Trabi. Jetzt braucht die Mutti das Auto für die Arbeit, und der Papa erzählt ihr, mit wie wenig Stunden er seine Fahrerlaubnis gemacht hat. Dabei lügt er noch die Hälfte weg, und die Mutti wundert sich, warum sie nach 20 Stunden immer noch so schlecht fährt.“ Nicht zuletzt höre er, so Becker, zunehmend von türkischen Frauen und Mädchen, die durch die besonders starke Anteilnahme der gesamten Familie oder aufgrund großer Ängste vor ihrem Ehemann unter Druck stünden, die Fahrprüfung auf Anhieb zu bestehen.

Nur wenige BerlinerInnen versuchten im vergangenen Jahr, außerhalb der Großstadt, etwas weniger streßig, zu dem begehrten Dokument zu gelangen. Lediglich 3.400mal wurde bei den zuständigen Landeseinwohnerämtern der Antrag gestellt, eine Fahrschule zu besuchen, die nicht in Berlin beheimatet ist. Bei 49.000 Prüfungen insgesamt eine geringe Menge, so die Auskunft der Innensenatsverwaltung. Der einfachste Weg, dem Großen Stern oder elenden Baustellenumfahrungen in der Stunde der Wahrheit zu entgehen, ist der Weg zu einer Fahrschule ins Brandenburger Umland, auch wenn dort laut Statistik die Durchfallerquote nicht geringer ist.

„Mittlerweile hört man viel von Dumpingangeboten einiger Nachwendeneugründungen, denen die Kunden ausgegangen sind“, erzählt Ernst Becker. 35 Mark und weniger statt der in Berlin üblichen 40 Mark und mehr sind ein verlockendes Argument bei der Entscheidung zwischen der Kiezfahrschule um die Ecke und der etwas längeren Anreisezeit ins Brandenburgische. Allerdings, so der Rat vom TÜV, einer Fahrschule, die so wenig Geld verlangt, sollte man vor Antritt der Fahrt etwas genauer auf die Reifen schauen oder auch nach den Versicherungen fragen.

Richtige Ferienfahrschulen nutzen BerlinerInnen übrigens nur in Ausnahmefällen. „Erstens opfert kaum jemand seinen Urlaub“, und zweitens, wenn er aus seiner Erfahrung als Fahrlehrer an einer solchen Einrichtung sprechen dürfe, „wird die Pappe dort so richtig teuer, drittens ist die Durchfallerquote enorm, weil alle Schüler den ganzen Tag zusammenhocken. Jeder Mißerfolg wird dort sofort zur Massenpsychose.“